DJane Ipek und Kolektif Istanbul bezirzen beim Schleswig-Holstein Musik Festival mit einem Mix aus rythmischer Folklore und Pop.

Hamburg. Orientalische Rhythmen fließen über den Spielbudenplatz, als wollten sie mit der Schwüle verschmelzen. Dunkler Gesang verbündet sich mit Stimmengewirr, das den Kiez erfüllt. In der türkischen Musik, auch wenn sie mit poppigen Beats unterlegt ist, wird die Euphorie stets in Melancholie getränkt. Denn in dem Bewusstsein, wie bitter das Leben sein kann, schmeckt die Süße eines Festes umso köstlicher. Und was für ein Fest es war.

Zum Auftakt seines Türkei-Schwerpunktes hatte das Schleswig-Holstein-Musik Festival (SHMF) nach St. Pauli geladen. Vom Schwarzen Meer war das Kolektif Istanbul angereist, dessen Live-Performance von Sets der renommierten DJane Ipek Ipekcioglu gerahmt wurde. Die Soundkünstlerin ist ein Paradebeispiel dafür, dass ein Mensch, der in Izmir und Berlin aufgewachsen ist, der also mindestens die Türkei und Deutschland im Herzen trägt, kein wandelndes Multikulti-Klischee sein muss. Vielmehr mixt sie die Schönheit des Traditionellen mit dem Wumms des Innovativen, anatolischen Volkstanz etwa mit US-amerikanischem House, sodass zwar die musikalischen Wurzeln deutlich hörbar bleiben, sich die Stereotypen jedoch in Wohlklang auflösen.

"Eklektik BerlinIstan" nennt Ipek diese Hybridform. Und aus ihrem Gerätepark samt knallrotem Laptop schickt sie anfangs trance-artige Melodien von der Bühne. Als wolle sie die Sommergäste, die sich ihren Weg über die randvolle Reeperbahn gebahnt haben, erst mal entspannt willkommen heißen.

Eine Brise weht kurz die braune Strähne hoch, die ihr über den Augen hängt. Ihr asymmetrischer Haarschnitt hat etwas Räudiges, Cooles. Zur Zigarette im Mund trägt sie Schwarz mit weißem Stern auf der Brust. Ständig ist sie in Bewegung. Ein nervöses, kreatives Tier. Wenn sie einen neuen Song beginnt, grinst sie, als freue sie sich diebisch über jeden Akzent, den sie setzten kann. Für die Völkerverständigung zum Beispiel. Das mag hochtrabend interpretiert sein, ist an diesem Abend aber offensichtlich. Sehr viele Zuschauer ohne Migrationshintergrund stehen da bei Bier und Sprizz. Ein grauhaariges Paar. Er die Funktionsjacke lässig über der Schulter. Freundescliquen plaudern. Touristen gucken leicht verdutzt. Sie stammen eher aus dem Ländle als aus dem Morgenland. Aber natürlich sind auch türkische Fans gekommen, die ihre Landsleute feiern wollen. Zum Teil mit der ganzen Familie. Den Kinderbuggy schieben sie weit nach vorne.

DJane Ipek dreht weiter auf, kreuzt Bläser mit Breakbeats. Noch klatschen nur wenige mit, doch langsam packt sie die Menge, verführt sie. Mit dieser modernen Amazone hätte sich das SHMF keine bessere Botschafterin für ihr diesjähriges Türkei-Programm aussuchen können. Ipek preist das bis Ende August dauernde Festival ("Tolle Bands, tolle Orchester - gehen Sie hin!") und dankt brav, aber mit spitzbübischem Seitenblick Audi als Sponsor des Abends, der eines seiner Gefährte prominent auf der Bühne geparkt hatte. Subtil geht anders. Aber wer zahlt, darf wohl auch dekorieren. Und als dann das Kolektif Istanbul aufspielt (auf akustisch gedimmtem Spielbudenplatz-Niveau), richten sich all die Blicke, Glieder und Emotionen ohnehin hin zu den sechs Akteuren.

Die Band startet mit einer Fanfare, die gekonnt ausleiert und in eine hüpfende Polka mündet. Wenn diese in ihrer Heimat äußerst populäre Combo eines perfekt beherrscht, ist es die Kunst der mitreißenden Unschärfe. Sie verquicken die Stile Osteuropas mit Pop-Elementen. Von klassischen Hochzeitsmusikern wandelten sich die Bandmitglieder zu Cross-over-Experten, die unterschiedlichste Einflüsse aufregend, polternd und bezirzend verzwirbeln.

Dass alle ihre Instrumente beherrschen, zeigen die Soli, die jedem der Reihe nach gebühren. Tamer Karaoglu spannt das Akkordeon über seinen Bauch und lässt die Töne federn. Talat Karaoglu wiederum betört mit seinem Klarinettenspiel. Und Ertan Sahin injiziert der Folklore einen gehörigen Schuss Funk mithilfe des Susafons, dieser wuchtigen, um den Körper geschlungenen Tuba. Den Anfang macht jedoch Frontmann Richard Laniepce, der die Augen schließt, auf seinem Saxofon improvisiert und im Anschluss erläutert: "Normalerweise bewegt man sich zu unseren Liedern." Verlegenes Gelächter im Publikum. Der Hanseat, das zeigt sich, mag es halt gern ein wenig hüftsteif. Da helfen auch die halb fertigen "Tanzenden Türme" am Ende der Straße nichts. Doch zum Glück kann die Musik noch einiges locker machen.

Als Asli Dogan zunächst ihre Trompete und dann ihre Stimme singen lässt, bilden sich erste Tanzkreise. Schnell und hoch verlassen die Worte ihren Mund. Immer mehr Hände drehen sich in den Himmel. Am Boden trippeln die Füße schneller. Und in der Mitte kreisen Bäuche verschiedenen Umfangs.

Spätestens, als Laniepce für den bulgarischen Tanz Kabadan hinab in die Menge steigt, sich wie ein rhythmischer Zitteraal bewegt und einzelne zum Duett bittet, setzt sich der Partyimpuls bis in die hinteren Reihe durch. Der Sound des Kolektif Istanbul wird zusehends zum flotten Ritt, sodass DJane Ipek im Anschluss wenig Mühe hat, mit ihrem zweiten Set weiter in die Nacht zu galoppieren. Dabei ist sie ihre eigene Animateurin, rennt hin und her zwischen ihrem Techniktisch und der Bühnenrampe, wo sie die Arme ausbreitet und zu ihrer sehr globalen Disco lädt. Ist das noch Hamburg oder schon Istanbul? An diesem Abend definitiv St. Paulistan.