In einer großen Retrospektive öffnet die Sammlung Falckenberg den Blick auf das Schaffen des Yello-Sängers Dieter Meier von 1969 bis 2011.

Hamburg. Dieter Meier ist nicht zu fassen. In seinen Äußerungen und Aktionen erscheint er oft wie eine zeitgenössische, sehr schweizerische Ausgabe des Narren Mullah Nasruddin, des listigen Weisen der Sufis. Schaut man ihn an, wirkt er wie ein aus der Zeit gefallener Dandy, an dem jedes Detail verschwenderischer Lässigkeit stimmt bis in die Wellenform seiner blondgrauen, nach hinten pomadisierten Haare.

Schwerreicher Bohemien, Unternehmer, Gast- und Landwirt, Lebenskünstler, Antikünstler: Dieter Meier, vor allem bekannt als Sänger und Schöpfer des visuellen Erscheinungsbildes des Schweizer Pop-Dance-Duos Yello, gehört zu der seltenen Spezies Mensch, die ihre Erdenzeit offenkundig als Auftrag begreift, das ihr für dieses Leben mitgegebene Potenzial zur Gänze auszuschöpfen. Und die Kelle wird jeden Tag aufs Neue eingetaucht.

Die Sammlung Falckenberg in Harburg zeigt nun Facetten von Meiers künstlerischem Wirken, die den - eigenen Mitteilungen zufolge ganz zufällig über ihn gekommenen - Ruhm durch Yello noch fantastischer, ja, unglaubwürdiger erscheinen lassen. Wie konnte ein derart eigensinniger Vermesser der kleinen Schweizer Welt, der sich im November 1969 fünf Arbeitstage lang auf einen öffentlichen Platz in Zürich zu 100 000 Metallstückchen hockt mit dem einzigen Zweck, den Berg während exakt terminierter Arbeitsstunden nach und nach in Plastiktüten à 1000 Stück umzufüllen, wie konnte ein musikalisch komplett ungebildeter Schreihals wie der Bankierssohn D.M. zwei Jahrzehnte nach seinem Debüt, der rüden Punk-Single "Cry For Fame" (1978), mit 14 Millionen verkauften Yello-Platten zum neben DJ Bobo erfolgreichsten Pop-Exportartikel der Schweiz werden? Er weiß es selber nicht, es ist ihm ein Rätsel, es ist ihm egal. Der Mullah Nasruddin in Dieter Meier sagt Sätze wie: "Kunst machen war mir kein Anliegen. Keine Kunst machen war mir auch kein Anliegen." Penibel wie ein Buchhalter hat Meier seine sonderbaren Aktionen im öffentlichen Raum geplant, durchgeführt und dokumentiert. So abstrus und absurd, so vorsätzlich nutzlos bis albern viele dieser zwischen 1969 und 1971 durchgeführten Interventionen wirken mögen: Ein wiederkehrendes, zentrales Element darin war eine fast zwanghafte Existenzvergewisserung - durch Zahlen, Stempel, Dokumente.

Wer etwa vom 6. bis 10. Juli 1970 zwischen 17 und 20 Uhr auf Bitten Meiers auf dem Bürgersteig des Helvetiaplatzes in Zürich eine von Metallbändern markierte kleine Wegstrecke gegangen war, bekam darüber ein Zertifikat ausgehändigt, die "Gangbestätigung". Am 6. Mai desselben Jahres lief Meier, Stapel mit kleinen Zetteln und einen Datumsstempel in der Hand, zwölf Stunden lang, zwischen 7 und 19 Uhr, durch München und beklebte im Minutenabstand seinen jeweiligen Standort mit einer frisch zeitgestempelten Marke. "Meier wird aus Gaststätten verwiesen", heißt es in einer Notiz.

In den fensterlosen, weiß getünchten und von Kunstlicht erhellten Hallenfluchten der Sammlung Falckenberg hängen die Protokolle dieser Maßnahmen auf vergrößerten DIN-A4-Bögen. Als selbst erstellte Formulare mit den Kategorien "Idee, Konzept, Erscheinungsform, Dokumentation", die hinterher mit Schreibmaschine ausgefüllt wurden, unterstreichen die Blätter das Serielle dieser Arbeiten.

Ist das Kunst, war das je Kunst? Meier misstraut dem "eigenartigen Begriff" und fragt: "Was führt zur schlagartigen Veränderung des Aggregatszustands einer Sache von Unsinn in Kunst?" Im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern ist er Schneider und Kind in einer Person. Von seiner Kunst spricht er so wie diese Zeitung früher von der DDR: in Anführungszeichen. Meine sogenannte Kunst. Meier kennt die Gesetzmäßigkeiten des Marktes, er bedient sie und unterläuft sie.

So gibt er sekundenschnell von ihm zusammengemanschten Knetgebilden hübsch verblasene Titel, fotografiert sie, rahmt die Aufnahmen. Das Objekt selbst wird "entsorgt". Und in der Ausstellung hängen sie dann in Serie, nichts bedeutende, wertlose Abbildungen nichts bedeutender, wertloser Unikate, eine Ahnengalerie der Entbehrlichkeit, des Nichts, lauter Meisterwerke des selbst ernannten "Maître de Rien".

Schelmenkunst. Meiers weit wirkungsmächtigeres Schaffen als Partner von Boris Blank bei Yello ist auf Leinwänden und Flatscreens zu bewundern: Maßstäbe setzende Videos wie "Bostich" oder "Pinball Cha Cha". Filmische Frühwerke geben geduldigen Betrachtern zudem Hinweise auf die Kontinuität im Werk Dieter Meiers, des vielleicht einzigen wirklich genialen Dilettanten unserer Zeit.

Dieter Meier: Works 1969-2011 And The Yello Years (bis 11. September) Phönix-Hallen Sammlung Falckenberg (Bahnhof Harburg), Wilstorfer Str. 7, Tor 2. Besuch nur im Rahmen von Führungen: Mi, Do 18.00, Fr 17.00, Sa und So 11.00 und 15.00., T. 32 50 67 62, Eintritt 15,-, erm. 12,-, Anmeldung über E-Mail: besuch@sammlung-falckenberg.de