Der Auftritt des Metal-Meisters Devin Townsend im Gruenspan war kein Konzert. Es war die Erschaffung einer neuen Welt.

Hamburg. Hat der Mischer Lack gesoffen? Wir stehen im Gruenspan und warten auf Devin Townsend. Was aber vor dem Auftritt des Multiinstrumentalisten, dessen musikalisches Spektrum vom Extreme Metal bis zu Spielarten des Rock reicht, aus den Boxen schallt, könnte nicht weiter von der Musik des Kanadiers entfernt sein: "Barbie Girl" von Aqua, "Mambo No. 5" von Lou Bega und anderer kopfschmerzerregender Trash. Dazu flimmert eine muppetartige Handpuppe namens "Ziltoid The Omniscient" über die Leinwände am Bühnenrand.

Ratlosigkeit breitet sich aus, wir fragen uns jetzt ernsthaft, was das soll. Dann kommt der Glatzkopf auf die Bühne, flankiert von einem ebenfalls haarlosen Drummer und zwei Zotteln an Bass und Gitarre. Er reißt die Augen schmerzhaft weit auf und verspricht den knapp 300 Anwesenden gut gelaunt einen "evening of bullshit". Und alles wird gut.

Mit "Addicted!" serviert er erst einmal einen Midtempo-Brecher. Bei dem kommt die Stimme der Ex-The-Gathering-Sängerin Anneke von Giersbergen noch vom Band, bei "Supercrush!" - ebenfalls vom aktuellen Album "Addicted" - übernimmt Townsend kurzerhand auch den weiblichen Gesangspart. Da sind wir diesem Wahnsinnigen schon völlig verfallen. Was im Verlauf der folgenden 110 Minuten passiert, ist ein metallisches Erweckungserlebnis. Wie kann man es wagen, einen fast schon banalen Melodielauf mit brutalen Metal-Rhythmen zu unterlegen? Das darf doch gar nicht funktionieren.

Townsend wagt es nicht nur, er feiert einen musikalischen Triumph nach dem anderen. Wir stehen im Publikum und fühlen uns überfallen, überfahren, überwältigt. Unsere Gehirne drohen zu implodieren. Denn auf der Bühne steht kein einfacher Künstler, sondern ein Metal-Alien, das unter uns gefahren ist, um die frohe Kunde zu verbreiten. Welche das sein könnte, ist uns egal. Hauptsache, Townsend geht nicht wieder von der Bühne und spielt weiter.

Vielleicht ist "Ziltoid The Omniscient" ja das wahre Ich von Townsend. Ein allwissendes Kunstwesen mit Kulleraugen. Vom gleichnamigen Album kommt "By Your Command", ein Song, der wie eine mit Nägeln gespickte Lawine durch den Saal rollt. Uns stehen die Münder offen. Langsam beginnen wir zu verstehen: Die belanglose Vorband Aeon Zen, die grässlichen Songs vom Band; das alles gehörte zu einem Plan. Zum Plan, das Geschäft mit der Musik auf links zu drehen, Hohn und Spott über nur vermeintlich kreative Pop-"Künstler" auszugießen und zu beweisen, dass Musik, dass Kunst alles kann, alles darf.

Zum Schluss erfindet er sich noch einmal neu, gibt den launigen Popstar, der sein Publikum auf die Bühne holt, sich auf Schultern tragen, fotografieren und zu den Klängen von "Bend It Like Bender!" noch ein letztes Mal feiern lässt. Und wir braven Lemminge kaufen uns zwei T-Shirts, gehen entrückt grinsend in eine Kneipe und schwärmen vom Konzert. Vom DJ fordern wir, er möge Devin Townsend spielen. Er lacht uns aus: "Seid ihr blöd? Was meint ihr, was hier seit einer Viertelstunde läuft?"