Die Gottväter des Postpunk, Gang Of Four, geben sich auf “Content“, ihrem ersten Album seit 16 Jahren, noch immer kantig und systemkritisch.

Die Idee hätte von Schockrocker Marilyn Manson stammen können. Um "Content", ihr mit Herzblut gefertigtes erstes Album seit 16 Jahren, zu vermarkten, bot die Band Gang Of Four ihren Fans eine limitierte Edition für 45 Pfund an. Inhalt: neben Erwartbarem von der Merchandising-Stange Fläschchen mit dem Blut der Musiker.

Die Freigebigkeit mit dem eigenen Körpersaft mag Ausdruck der innersten Gefühle der Musiker sein. Vielleicht ist es auch ein Kommentar zum mit Verzweiflung gepaarten Vermarktungswahn der kriselnden Musikindustrie. Nötig hätten die Gottväter des Postpunk derlei spektakuläre Aktionen nicht. Ihre Musik reicht noch immer vollkommen aus. Die Liste jener Bands, die sich mit Gang Of Four als Inspirationsquelle schmücken, ist lang. Sie reicht von R.E.M. bis zu Nirvana. Auch die jüngsten Postpunk-Eklektiker Interpol oder Editors zitieren mehr oder minder offensichtlich die Viererbande aus Leeds. Die Hörgewohnheiten nachwachsender Generationen haben sie entscheidend mitgeformt. Die Zeiten drängender politischer Aufregung sind bei den immer noch drahtigen Mittfünfzigern mit vom Leben gegerbten Gesichtern keineswegs Vergangenheit.

Auf den ersten Ton regiert auf "Content" eher der Funk, das Geradlinige, weniger der verklausulierte Dub, den die Band immer so schön kantig mit schneidenden Gitarrenriffs vermählt hat. "I Party All The Time" heißt symptomatisch ein Song. Aber wer genau hinhört, erkennt zwischen den Zeilen den aufrührerischen Gehalt. "We are prisoners. We are innocents" ("Wir sind Gefangene. Wir sind Unschuldige"), singt Jon King. "If there's a revolution then you stay at home" ("Wenn es eine Revolution gibt, bleibst du zu Hause"). Und er leitet über zu "I'm not innocent" ("Ich bin nicht unschuldig"). Na also. Da ist er doch noch. Der Impetus subversiven Gedankenguts, die Systemkritik, der Aufschrei der Revolte.

Gewachsen ist das politische Bewusstsein in studentischen Jahren, als sich die Gang in Leeds durch die Theorien des Kunsthistorikers T J Clarke sowie von Hegel, Marx, Lacan und Adorno fräste, den Filmemacher Godard verehrte und in Funk-Gott George Clinton einen musikalischen Paten fand. Damals herrschte Krieg auf der britischen Insel zwischen den Punks und den Anhängern der National Front.

Zwischen 1980 und 1983 schuf Gang Of Four vier Alben. Danach dauerte es, bis sie sich zu zwei Comebacks und ab 2004 auch wieder zu regelmäßigen Konzerttouren aufraffte. Die Ursprungsbesetzung ist seit mehr als zwei Jahren Geschichte. Schlagzeuger Hugo Burnham verdingt sich als Professor für Erziehungswissenschaften in Boston, und auch Bassist Dave Allen hat die Band verlassen.

Die beiden Vordenker der Viererbande, Jon King und Andy Gill, sind noch immer der Kern der Band. Sie haben geschafft, was nur selten im Pop gelingt: Sie haben ein Modell für ein Genre gefunden. Und in den 80er-Jahren Schlachtrufe wie "To Hell With Poverty" um die Welt geschickt. Heute betonen sie bei jeder Gelegenheit, nie die rote Fahne geschwungen zu haben, sondern einfach die Dinge so beschrieben zu haben, wie sie sie sahen. Lange Jahre hielten sich Gil und King mit Filmmusiken, etwa für den Streifen "Delinquent", über Wasser.

Es findet sich eine Menge ordentlicher Songs auf "Content" und mindestens drei großartige: Die Anti-Liebesballade "I Can't Forget Your Lonely Face" beschreibt hohläugige, verlorene Großstadtexistenzen in Zeiten des Postkapitalismus. Und das melancholisch-scharfe "I Can See From Far Away" erzählt von einem Zustand zwischen Wachen und Schlafen, einer Unordnung im System, die sich ungesund anfühlt und anhört. Gang Of Four liefert immer noch den Soundtrack zu den Verhältnissen, setzt ihn heute aber eher eingängig als avantgardistisch um. Die Kritik geht in der Affirmation auf. Ins Zentrum rückt das Ich. "Who am I when everything is me?", fragt Jon King - "Wer bin ich, wenn alles ich ist?". Die Weltsicht schrumpft auf das verwirrte Selbst zusammen.

Gang Of Four: "Content" Grönland Records/Rough Trade; www.gangoffour.co.uk