Liefert viel Gefühl: Auf seinem zweiten Album “Boxer“ zeigt sich der Hamburger Sänger Johannes Oerding wieder als geerdeter Romantiker.

Hamburg. Es gibt mit Sicherheit stimmigere Orte, um ein Konzert zu geben, als die Musikabteilung einer Elektronikmarkt-Kette. Aber wer wie Johannes Oerding im kommenden April in der ausverkauften Großen Freiheit 36 spielt, der kommt auch wie am Sonnabend auf einer Bühne zwischen CD-Regalen gut an. Der Sänger hat zurzeit einen beeindruckenden Lauf: Letztes Jahr wurden die Hamburger auf sein Debütalbum "Erste Wahl" aufmerksam und füllten Knust und Markthalle. Jetzt ist die zweite Platte "Boxer" erhältlich, die Single "Reparier'n" rotiert im Radio.

Als der 1981 in Münster geborene Johannes Oerding vor fünf Jahren nach Barmbek-Süd zog und am Popkurs der Hochschule für Musik und Theater erste Kontakte sammelte, war er noch ein Niemand. Immerhin gab ihm Michy Reincke, Hamburgs Musiker-Mensch-Kontakter und Entdecker von Talenten wie Anna Depenbusch nach einem Popkurs-Konzert, seine Telefonnummer.

"Nach diesem Abend ging ich einigermaßen verstrahlt nach Hause, und wen treffe ich im Hausflur: schon wieder Michy Reincke", erinnert sich Oerding. Beide wohnten zufällig im selben Haus, aus guter Nachbarschaft wurde Freundschaft, und Oerding bekam so wertvolle Tipps und Auftritte, zum Beispiel in Reinckes beliebter Nachwuchs-Konzertreihe "Lausch Lounge".

Trotzdem gab es in der Folgezeit viele Rückschläge, die den mittlerweile in der Schanze wohnenden Künstler zum Albumtitel "Boxer" inspirierten: "Mit unseren ersten Songs gingen wir lange Zeit hausieren, kein Sender wollte uns spielen." Oerding biss auf die Zähne und schrieb Songs im Akkord. "Auch für 'Boxer' landeten viele Zettel mit Songideen zerknüllt in der Ecke", sagt Oerding, der seine Lieder intuitiv und ohne akademischen Ansatz schreibt.

Zwar standen ihm seine Produzenten Mark Smith und Sven Bünger zur Seite, "aber ich bin ein Kontrollfreak, der ungern Kompromisse eingeht". Enttäuschungen und Erfolge lebt er intensiver und weniger abgeklärt, als man es bei einem 29-Jährigen vermuten würde. "Zur Entschleunigung singe ich, ansonsten lebe ich umgeben von totaler Reizüberflutung."

So ist "Boxer" auch ein Ventil, um runterzukommen, sowohl für den Interpreten als auch für den Hörer. Den Großteil der 14 Songs machen Balladen aus, die exzellent produziert wurden und akustisch reduziert genug sind, um Oerding viel Freiraum für seine sinnliche und immer leicht übernächtigt klingende Stimme zu geben.

Dabei gibt es kein Halten. "Overacting" würden Schauspieler es nennen, wenn Oerding mit seinem Gesangstalent in purer Verschwendungssucht schwelgt. In "Reparier'n" glaubt man, neben ihm eine vermeintlich weibliche Begleitstimme zu hören, die sich auf Nachfrage ebenfalls als Johannes Oerding entpuppt. Weniger wäre mehr, aber nicht für den Alles-oder-Nichts-Künstler. Jede Minute, jeder Takt zählt.

Aber Menschen, die Musik mit dem Herzen hören, werden "Sonne", "Halt mich fest", "Wenn du mich brauchst", "Alles, was bleibt" oder "Gelandet" mit emotionalen Maßstäben beurteilen, und da stimmt es: Oerding hat das Aussehen, die Stimme und mit den Liedern von "Boxer" das Repertoire für eine einstündige "Romeo & Julia"-Balkonszene. Ein hoffnungsvoller Romantiker, der trotzdem nicht nach den Sternen greift. Du und ich und kleine Alltagsbetrachtungen wie die Bar-Beobachtung in "Erster Klasse" sind seine Perspektiven. Extravaganzen sind seins nicht. Geerdet und ohne großes Spektakel bleibt er gern typisch hamburgisch auf dem Teppich wie die populären Kollegen Stefan Gwildis oder Ina Müller.

Entsprechend groß war natürlich das mediale Echo, als Oerdings Beziehung mit Ina Müller öffentlich wurde: "Das hat mich schon erschreckt. Wir haben nie ein Statement dazu abgegeben, und trotzdem wird eine riesige Geschichte daraus gemacht." So wurde auch der PR-Marathon für "Boxer" noch "wilder", wie er sagt. "Ich finde es albern, wenn Künstler auf ihr Privatleben reduziert werden."

Und was kann Johannes Oerding auch dafür? Schließlich ist es mit den Frauen wie mit Gitarren, Fußballvereinen oder Katzen: "Du suchst nicht sie aus, mit Glück finden sie dich."