Das Frühjahr bietet zahlreiche aufregende Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt. Mit dabei: Michel Houllebeqs Roman “Karte und Gebiet“.

Hamburg. Mehr als in den vergangenen Jahren geht es bei den literarischen Neuerscheinungen des kommenden Frühjahrs um Liebe und Entsagung, Ehe- und Familiengeschichten, mit denen sich die Autoren beschäftigen. Als zweites großes Thema der Frühjahrsliteratur kehren viele Autoren zurück in ihre Jugend, schildern Geschichten vom Erwachsenwerden, von Bedrohung, Unsicherheit und Selbstfindung.

Den schönsten literarischen Titel der neuen Saison hat sicherlich Christina Eibl verdient. Ihr Buch heißt "Nicht alle Russen haben Goldzähne, sind immer betrunken und auch nicht jeder russische Beamte ist korrupt" - eine Überlebensgeschichte aus dem Herzen Moskaus (weissbooks). Es basiert auf eigenen Erfahrungen, ist ein ungeschönter Bericht der promovierten Historikerin und Autorin, die drei Jahre in Russland verbracht hat. Steuer, Polizei, Gerichte, Geschäftsleute. Alles ist undurchsichtig bis skurril. Als Leser taucht man ein in eine fremde Welt.

Mit Russland und dem dortigen Geheimdienst, dem verschwundenen Zarengold und einer jungen Londoner Anwältin beschäftigt sich auch A. K. Shevchenkos Roman "Ein fatales Erbe" (Hoffmann und Campe). Die ukrainische Autorin, die sieben Sprachen spricht, arbeitet für internationale Organisationen und schöpft aus ihrem Erfahrungsfundus.

Um die Liebe und ihre Abgründe sorgen sich andere Autoren. Natasa Dragnic zum Beispiel erfindet eine große, tragische Liebesgeschichte in "Jeden Tag, jede Stunde" (DVA), in der sich ein Paar findet und verliert. Die Engländerin Deborah Kay Davies schildert in "Bedingungslos" das Psychogramm einer Frau, deren Leben durch eine Leidenschaft zu einem charismatischen Mann völlig aus dem Ruder läuft (Verlag Kein & Aber).

Komplikationen der Liebe gibt es auch in Louise Erdrichs Roman "Schattenfangen" auszuloten. Eine Ehefrau stellt fest, dass ihr Mann in ihrem Tagebuch liest und beginnt ein Versteckspiel mit Wahrheiten und Unwahrheiten, die sich zu einem wahren Psychothriller entwickeln (Suhrkamp).

Die amerikanische Autorin Siri Hustvedt hat ein blitzgescheites Buch über Frauen von heute geschrieben. Treffenderweise trägt der Roman der New Yorkerin und Ehefrau von Paul Auster den Titel "Der Sommer ohne Männer", auch er behandelt eine Ehekrise (Rowohlt).

Von einer großen, alle Widrigkeiten überdauernden Liebe erzählt Alex Capus in "Léon und Louise" (Hanser). Lauren Grodstein beschreibt in "Die Freundin meines Sohnes" die Geschichte eines Vaters, der versucht eine gefährliche Freundschaft seines Sohnes zu hintertreiben. Sie handelt ebenso von bürgerlicher Selbstgefälligkeit wie von dem verzweifelten Versuch, eine Familie zu retten (Klett-Cotta). Doris Knecht hat sich in "Gruber geht" einen neurotischen Karrieristen zum Helden ausgeguckt, den sie von einer Katastrophe in die nächste steuert. Wird er ein besserer Mensch? Vielleicht. Aber er wird zu einem Helden, in dem sich jeder wiedererkennt (Rowohlt Berlin).

Sayed Kashua erzählt in "Zweite Person Singular" von zwei arabischen Israelis, die sich nichts sehnlicher wünschen, als ihre Fremdheit abzulegen und eine neue Identität zu erlangen. Der Filmkritiker und Drehbuchautor einer israelischen Sitcom kann literarisch wunderbar erzählen, von Komik, von Glücksversprechen oder von einem zerrissenen Land (Berlin Verlag).

Kindheit, Jugend, Erwachsenwerden heißen die anderen großen literarischen Themen der kommenden Saison. Der Schauspieler Joachim Meyerhoff, der unter anderem am Hamburger Schauspielhaus vor ein paar Jahren den Mephisto spielte und dessen Stücke, die er am Wiener Burgtheater herausgebracht hat, zum Theatertreffen eingeladen worden sind, hat seinen ersten Roman geschrieben - "Alle Toten fliegen hoch". Es ist der Entwicklungsroman eines jungen Mannes, der nach Amerika geht und dort erwachsen wird (Kiepenheuer & Witsch).

Sacha Sperling heißt der junge Franzose, der 2009 in Frankreich als die literarische Entdeckung gefeiert wurde. Sein Roman "Ich dich auch nicht" ist die Skandalgeschichte eines 17-Jährigen, der aus der besseren Gesellschaft auf die schiefe Bahn gerät. Auch er erzählt vom Erwachsenwerden, allerdings mit beißenden Folgen (Piper).

Und noch eine weitere Geschichte widmet sich Jugenderfahrungen: "Skippy stirbt" heißt Paul Murrays Roman über ein dickes Mathegenie, das sich zum ersten Mal verliebt. Murray, der den Slapstick beherrscht, hat eine Tragikomödie über Jugend und Freundschaft geschrieben, die demnächst von Neil Jordan verfilmt werden soll (Verlag Antje Kunstmann).

"Tiger Tiger" ist die authentische Geschichte eines Missbrauchs, die Margaux Fragoso so spannend, souverän, packend und feinfühlig erzählt, dass man diesen ergreifenden Roman als literarisches Meisterwerk bezeichnen kann. Die heikle und tiefsinnige Geschichte erscheint gleichzeitig in 21 Ländern und in Deutschland in der Frankfurter Verlagsanstalt.

Was sonst noch spannend wird? Sicherlich Michel Houllebecqs in Frankreich als Meisterwerk gefeierter Roman "Karte und Gebiet" (Dumont), der schwerelos und auf geradezu altmodische Art von einem Künstler erzählt, der plötzlich Houllebecq porträtieren soll. Philip Roths "Nemesis" (Hanser) schildert die Auswirkungen auf die Familien, die eine Polioepidemie im Sommer des letzten Kriegsjahres hat. Im Fischer Verlag erscheint Carlos Ruiz Zafons Roman "Marina", der wieder - wie schon "Der Schatten des Windes" und "Das Spiel des Engels" in eine vergangene, verwunschene Zeit führt. Und dann hat Wolfgang Schömel, seit mehr als 20 Jahren Literaturreferent in Hamburgs Kulturbehörde, einen neuen Roman geschrieben, "Die große Verschwendung" (Klett-Cotta). Er beschäftigt sich mit der Bremer Gesellschaft (die eigentlich die Hamburger ist), mit Politik, Kultur, Investoren, kriselnden Männern und einem Renommierprojekt. Was es da alles zu entdecken gibt! Darauf freuen wir uns am meisten.