Seit März 2010 wirken die Frappant-Künstler in der Altonaer Viktoria-Kaserne - mit Heizung, aber auf weniger Raum. Ein Hausbesuch.

Hamburg. Noch stehen die Gesichter auf dem Boden. Schiefe Visagen. Freundliche. Skeptische. Fast abstrakte. Großformatige. Aber keine kleingeistigen. "Normalerweise zeigen hier drei bis vier Künstler pro Woche ihre Arbeiten. Jetzt sind es 60. Die haben noch ganz gut was zu tun", sagt Gianna Schade mit dunkler fester Stimme. Mit großen Schritten durchmisst die 30-Jährige den Raum in der Viktoria-Kaserne, wo am Sonnabend die Gruppenausstellung fertig hängen soll. Der Titel: "Antlitz, Bildnis, Conterfei - jeder Kopf hat seinen Preis". Porträts also.

Ein persönliches Thema. Eines, das das Unverwechselbare herausarbeitet. Das passt. Denn das mächtige, dreistöckige Haus an der Bodenstedtstraße, in dem derzeit 144 Fotografen, Designer, Installationskünstler und Maler in ihren Ateliers wirken, es lebt von den Menschen. Ihre Einzigartigkeit gibt dem Projekt ein Gesicht. Mit einer Ausstrahlung wie dieser Satz, der mit Kreide im Hof an der Klinkerwand steht: "Kunst muss nicht schön sein." Aber sie wirkt. Und Schade, die wie Schauspielerin Tilda Swinton eine ungeschminkte Blässe trägt, ist in der Regel das Gesicht, das die zum Verein organisierten Künstler nach außen repräsentiert.

Der Name Frappant e. V. ist mittlerweile ein Begriff in der Stadt. Seit die Diskussion um den gleichnamigen Bauklotz in der Großen Bergstraße entbrannt ist. Seit Ikea eine innerstädtische Filiale in Deutschlands ältester Fußgängerzone plant. Und seit der Protestverbund "Recht auf Stadt" die Leerstände in Hamburg neu verhandelt.

Philipp Mechsner und Martin Wojciechowski zählen zu den Kreativen, die die Gentrifizierungs-Odyssee vom Forum Altona über das Frappant bis zuletzt im März 2010 zur Viktoria-Kaserne mitgemacht haben. Als Firma nennen sich die Anfang 30-Jährigen Wandadel und bieten Gestaltungskonzepte an, die Unternehmen Identität verleihen. Optiken, die den Weg weisen, und Graffitis, die Seele stiften. "Hier bleiben wir jetzt erst mal ein paar Jährchen", sagt Wojciechowski und grinst unter seinem dunklen Bart hervor.

An seinem Schreibtisch ist er umgeben von Skizzen. An der Wand prangt ein Riesenpinguin auf Holz. Und hinter seinem Rechner liegt ein Bildband von Hieronymus Bosch. Kunstvolles Chaos vererbt sich durch die Jahrhunderte. Sein Kollege Mechsner freut sich vor allem über die Heizung: "Die Räume sind schon ein Upgrade, nicht so ein Abbruchtrakt." Mit Jeans und Sweatshirt macht er einen lässigen Eindruck, guckt jedoch ernst durch seine Hornbrille, wenn er von der politischen Dimension des Vereins spricht: "Wir sind hier nicht umsonst aktiv. Ständig werden wir angesprochen, ob Räume frei sind. Der Atelier- und Wohnungsnotstand in Hamburg ist ein Megaproblem." Das haben die Frappant-Künstler am eigenen Leib erlebt. Beim Umzug in die Viktoria-Kaserne mussten sie sich von rund 8000 Quadratmeter auf 3835 verkleinern. Bei gestiegener Miete.

Birgit Holzwarth zählt zu den Glücklichen, die für "4,50 Euro kalt" pro Quadratmeter ein kleines Reich für ihre Näharbeiten ergattern konnte. Die 32-Jährige ist der neueste Zugang des Kollektivs. Seit September letzten Jahres teilt sie sich ihr Atelier mit einer Malerin. "Oft sehen wir uns kaum, da wir sehr unterschiedliche Arbeitsrhythmen haben", sagt die Designerin, die sich derzeit mit ihrem eigenen Modelabel Tia Raps etablieren möchte. Der Raum ist mit Stühlen und Tüchern notdürftig geteilt. Nähmaschine, Kleiderpuppe und Stoffe auf der einen Seite, eine detailversessene Installation auf der anderen. Trotz des improvisierten Charmes schwärmt sie, sodass ihre Augen unterm asymmetrischen Haarschnitt leuchten: "Das Licht aus hohen Fenstern" gefalle ihr.

Schades Handy klingelt. "Ich frage mich echt, woher die alle meine Nummer haben?" Anfragen für die Warteliste, auf der laut Schade derzeit "200 für den Verein geeignete Leute" stehen, wickelt sie nur noch per Mail ab. Oder über die Postkarten, die flächendeckend verteilt wurden. "Frappant expandiert" steht darauf. Und die Illustration auf der Front zeigt einige potenziell nutzbare Areale der Hansestadt: Astra- und Fernsehturm, die Seefahrtschule in Altona und der Komplex in der Amsinckstraße 45. Statt Opferhaltung regiert der selbstbewusste Witz. "Von der Stadt fanden die das natürlich nicht so lustig", erklärt Schade knapp. Doch sich mit Entscheidern und Elefantenrunden zu streiten und zu arrangieren, in diesen Job ist Schade hineingewachsen.

Die studierte Fotografin kümmert sich seit 2005 ausschließlich um den Verein. Derzeit versuchen sie, die Kaserne unter Denkmalschutz stellen zu lassen, um ihre Chancen auf eine langfristige Bleibe zu erhöhen. Ansonsten stünde zu befürchten, dass der Besitzer, die Finanzbehörde, das Haus abreißt und das Gelände lukrativ für den Wohnungsbau veräußert. Der Mietvertrag läuft im März aus, aber eine Verlängerung bis Mitte 2012 liegt vor. Was für den Ottonormalbürger arg befristet klingt, ist für die Künstler eine ungewohnte Sicherheit. "Im Frappant mussten wir mit Zweimonatsverträgen planen", sagt Schade. "Hier können wir uns langsam häuslich einrichten und auch mal intern Strukturen etablieren, statt immer nur nach außen zu kämpfen."

Ihr Domizil zu kaufen, wie es nun die Gängeviertel-Initiative versucht, steht derzeit weniger zur Debatte. Auch wenn die Frappant-Künstler durchaus politisch sind, ging es ihnen doch immer verstärkt darum, schlichtweg dauerhaft eine Infrastruktur zu haben. "Wir sind nicht mehr die Jüngsten, die meisten von uns sind zwischen 30 und 40. Viele haben gerade Kinder bekommen", sagt Schade und in ihren resoluten Tonfall mischt sich eine Spur Erschöpfung.

Auch dem Tisch neben Kilian Schulz-Mons, der gerade Fotos einer New-York-Reise auswertet, ist derzeit verwaist, weil sein Sitznachbar Vater geworden ist. Normalerweise teilt sich Schulz-Mons sein Büro mit drei weiteren Grafikdesignern. Der 33-Jährige arbeitet halbtags in einer Agentur, genießt in der Viktoria-Kaserne aber "den Freiraum und die Inspiration". Kein Vergleich sei das jedoch zu der "Experimentierfläche Frappant", findet Schade. "Drüben konnten wir Wände einreißen, hier macht man sich schon Gedanken, wenn man ein Loch bohrt." Drüben, das ist immer noch Thema. Sie könne am Frappant kaum vorbeigehen, "ohne einen Schreikrampf zu kriegen", erzählt Schade und ballt die Fäuste.

Der Ikea-Komplex wird das Gesicht des Viertels verändern. Aber nicht wie eine Sommersprosse, die sich unauffällig auf die Wange schleicht. Die Bagger in der Großen Bergstraße stehen für massive Einschnitte bereit. Zum Lifting. Eine ganze Nachbarschaft wird ihrer Falten aus den 70er-Jahren entledigt, glatt gemacht. Was aber bedeutet das für das Gesicht Hamburgs?

Ausstellung "Antlitz, Bildnis, Conterfei" Sa 8.1., 20.00 (Vernissage, Konzert, Party) Viktoria-Kaserne, Ecke Zeiseweg/Bodenstedtstraße, www.frappant.org