Sie mussten Ikea weichen und haben sich im ehemaligen Polizeistützpunkt eingerichtet. Lösung für maximal ein Jahr.

Hamburg. "Ich zeichne, seit ich denken kann", sagt Sylvie Ringer (26). Wenn man ihr Atelier betritt, riecht es nach Putz und frischer Farbe. An den weiß getünchten Wänden hängen Holzschnitte und Kohlezeichnungen. Sylvie Ringer studiert Illustration an der Hochschule in der Armgartstraße und achtet gegen jedes Künstlerklischee auf einen strukturierten Tagesablauf. Morgens früh aufstehen, dann zwei Stunden für die Bürokratie, zeichnen bis zur Mittagspause - beim Chinesen um die Ecke -, danach weiterzeichnen. "Es ist eine einsame Tätigkeit", sagt sie, "umso besser, dass man hier in den Nachbarateliers meistens jemanden zum Reden oder auf einen Kaffee treffen kann."

Hier, das ist die Viktoria-Kaserne in der Bodenstedt-Straße. Sie bietet rund 100 Künstlern Raum für ihre kreative Arbeit, nachdem sie das Frappant-Gebäude in der Großen Bergstraße verlassen mussten - weil der schwedische Möbelriese Ikea dort eine City-Filiale errichten will. Wie Sylvie Ringer hat sich auch Marie Pohl (28) - Künstlername: Marijpol - in den neuen Räumen eingerichtet. Sie ist Comic-Zeichnerin und hat ihr Studium vor einem Jahr in Hamburg beendet. Eigentlich wollte sich die Berlinerin ein Atelier in der Hauptstadt suchen, aber der Zusammenhalt im Frappant-Verein ließ sie umdenken. "Ich hätte nicht gedacht, einmal so eng mit Hamburg verbunden zu sein", sagt Marie. Sie sucht noch einen Verlag zur Veröffentlichung ihrer Diplomarbeit. "Comics sind in Deutschland nicht gefragt. Man spricht ihnen künstlerischen Wert und semantischen Tiefgang ab."

Die jungen Illustratorinnen arbeiten äußerst diszipliniert, keine rotweingeschwängerten Nachtgelage, kein neomodernistisches Profilierungsgehabe. Anfang März sind sie mit über 100 Künstlern des Frappant e. V. in die Bodenstedtstraße eingezogen. Lang ist es her, dass die ehemalige Kaserne des Preußischen Infanterieregiments eine solch bunte Mieterschar beheimatet hat. Seit Jahren steht ein Großteil des Gebäudes leer, der Rest dient Studio Hamburg als Kulissenlager.

Dabei hat es eine außergewöhnliche Vergangenheit. In den 1880er-Jahren erbaut, diente es jahrzehntelang als Militär- oder Polizeistützpunkt. Etwa 100 Jahre später wurde es von der Universität übernommen. Eine Vielfalt von Mietern hat es bisher erlebt: Meeresbiologen, die in den ehemaligen Gefängniszellen merkwürdige Tiere in Aquarien aufbewahrten; Filmstudenten, die nachts in den Kellern Kriminalgeschichten drehten, und Opernsänger, deren Tremolo durch sämtliche Gänge hallte. Für die Künstler von Frappant ist die Kaserne eine Interimslösung. Das Haus befindet sich in städtischer Hand und wird von der Sprinkenhof AG verwaltet. Eine Zusage für dauerhafte Nutzung hat die Theodor-Haubach- Schule.

Diese benötigt zusätzliche Räumlichkeiten, falls sie im Rahmen der Schulreform zur Primarschule ausgeweitet wird. Bis zum März 2011 muss sich die Schule entscheiden, ob sie das Angebot annimmt. Wenn nicht, soll das Gebäude einem Wohn- und Rehabilitationsprojekt für ehemals süchtige Jugendliche zugesprochen werden, so Sven Hielscher von der CDU-Bezirksfraktion in Altona. Den Künstlern von Frappant bleibt kaum Hoffnung auf eine dauerhafte Bleibe in der Umgebung, die sie mit viel Herzblut hergerichtet haben.