Jens Neubert hat sich an die Opern-Verfilmung von Webers “Freischütz“ von 1821 gewagt. Als Ännchen überzeugt die Sopranistin Regula Mühlemann.

Für das nächste Jahr hat sich Regula Mühlemann noch nicht viel vorgenommen. Ein paar Konzerte und neun Vorstellungen von Scarlattis komischer Oper "Der Triumph der Ehre" sind im Kalender vermerkt, den Rest des Jahres hat sich die junge Schweizerin freigehalten. Es könnte ja sein, dass demnächst daheim in Luzern pausenlos das Telefon klingelt. Die 24-jährige Sopranistin, von der die Opernwelt bisher nicht viel gehört hat, ist das Ännchen in Jens Neuberts "Freischütz"-Verfilmung, die derzeit im Kino zu sehen ist.

Sie ist der Hingucker neben Stars wie Juliane Banse (Agathe), Michael König (Max), Michael Volle (Kaspar), Franz Grundheber (Ottokar) oder Rene Pape (Eremit), der Liebling des Regisseurs, der Mühlemanns Stimme und Charme erlag, als sie ihm für eine der Brautjungfern vorsang. Wenige Tage später rief Neubert die Sopranistin zu Hause an. Ob sie in der Lage sei, die Partie des Ännchens in drei Tagen zu lernen und sie dann dem Dirigenten Daniel Harding in Wien vorzusingen, wollte Neubert wissen. Sie war. Man kann sich vorstellen, wie märchenhaft sich das alles angefühlt hat. Mühlemann geht jetzt noch wie auf Wolken und spricht von der Chance ihres Lebens.

Allerdings ist eine Opernverfilmung immer ein Drahtseilakt. Die Fallhöhe ist ungleich höher als bei einer von der Bühne abgefilmten Oper, die im schlechtesten Fall immer noch als Dokumentation durchgeht. Und wenn sich in den zurückliegenden Jahren überhaupt Regisseure an eine Opernverfilmung gewagt haben, dann waren es in der Regel keine klassischen Opernregisseure. So adaptierte Joseph Losey 1979 Mozarts "Don Giovanni" fürs Kino, Franco Zeffirelli wagte sich 1982 an Verdis "Traviata", und Franco Rossi nahm sich zwei Jahre später Bizets "Carmen" vor. Der bislang Letzte in dieser Reihe war der Brite Kenneth Branagh, der sich 2006 an der "Zauberflöte" verhob - gut 30 Jahre, nachdem Ingmar Bergman seine Filmversion von Mozarts Opus Magnum vorgelegt hatte.

Die international gefeierte Sängerin Juliane Banse spricht von einem Abenteuer. "Pure Neugier" habe sie dazu bewogen, sich zu beteiligen. Die 43-Jährige beruft sich gern auf die für ihren realistischen Regiestil berühmte Felsenstein-Schule beruft. "Denn da komme ich auch her." Tatsächlich hat die gebürtige Württembergerin ihre Karriere an der Komischen Oper in Berlin begonnen, dort hat Banse ihre erste Pamina gesungen.

Seitdem ist sie unter anderem die Sophie, die Marzelline, die Susanna und die "Figaro"-Gräfin gewesen. Aber neben diesen Auftritten in Wien, Salzburg, München und Berlin hat Juliane Banse immer auch Abgelegenes gesungen wie die Titelrolle in der Braunfels-Oper "Jeanne d'Arc" oder, zuletzt, die Tochter in Hindemiths "Cardillac". Immer wieder war es der Dirigent Nikolaus Harnoncourt, der Juliane Banse für seine Ausgrabungen gewann. Mal ging es um einen frühen Mozart ("Die Schuldigkeit des ersten Gebots"), mal um einen vergessenen Haydn ("Orlando Paladino"). "Für Harnoncourt tut man eben viele Dinge, die man für andere nicht tun würde, und danach ist man immer froh, dass man sie getan hat."

Juliane Banse gehört zu den Sängern, die beides können: singen und spielen. Die Arbeit am Baden-Badener "Freischütz" unter der Regie von Bob Wilson vor anderthalb Jahren hat sie deshalb frustriert. "Ich wollte das wenigstens einmal ausprobiert haben, aber es hat mich doch irritiert, nur eine Art raffiniert ausgeleuchtete Kostümträgerin zu sein." An der Verfilmung habe sie deshalb gereizt, der Figur der Agathe, der Weber ohnehin nur wenig Handlungsspielraum zugemessen habe, "ein bisschen mehr Tiefe zu geben".

Neubert drehte seinen überaus naturalistischer "Freischütz" in und um Dresden und im Elbsandsteingebirge. Der Regisseur sagt, es sei ihm nicht darum gegangen, elitäres Arthouse-Kino zu machen, er wolle vielmehr ein breites Publikum für die Oper begeistern. Und so wird vor der Kamera von Harald Gunnar Paalgard viel gekämpft und geprügelt und dann in Großaufnahme dazu gesungen. Das Finale wird handfest inszeniert, mit dem Abzug Napoleons, dem Jägerchor im Geweihsaal in Moritzburg und mit dem großartigen Franz Grundheber als gütigem Landesherr und René Pape als knorrigem Eremit. Das erstklassige Ensemble - unter Hardings Leitung spielt das London Symphony Orchestra - tut sein Bestes. Ob die Zuschauer den historischen Hintergrund tatsächlich erfassen können - Neubert hat die Geschichte in die Zeit der ausgehenden Napoleonischen Kriege verlagert -, sei dahingestellt. Der Urururenkel des Komponisten hat an diesem Eingriff jedenfalls nichts auszusetzen. Im Gegenteil. Neubert habe das Werk kongenial ins frühe 19. Jahrhundert versetzt und ihm damit "die ursprünglich intendierte Dramatik und Wucht verliehen", sagt Max-Maria von Weber. Das mache den Film zu einem "weiteren wichtigen Meilenstein in der Rezeptionsgeschichte des 'Freischütz'".