Wie kein anderer verkörpert der Pianist Martin Stadtfeld den Widerspruch zwischen Verpackung und Inhalt. Er ist zu Besuch in der Laeiszhalle.

Hamburg. Er erinnert an ein männliches Schneewittchen, dieser schwarzhaarige Jüngling mit dem Porzellanteint in kirschrotem Hemd und schwarzer Hose. Ob er am geöffneten Flügel sitzt und schräg in die Höhe schaut, ob er, Standbein, Spielbein, an der Taille des Instruments lehnt oder ob er die Ellenbogen auf die Knie stützt und aus nächster Nähe geradeaus in die Kamera blickt: Jede Haltung wirkt. "Sensationell", sagt der Fotograf, "haben Sie schon mal gemodelt?" Die Antwort kommt knapp und ohne jede Koketterie: "Nein."

Der Pianist Martin Stadtfeld gehört zu den Künstlern, für die ihr Aussehen eine durchaus ambivalente Rolle spielt: So perfekt sich die androgyne Erscheinung vermarkten lässt, so hämisch heißt es andererseits gern: Wenn einer so aussieht, dann fällt ihm ja alles zu.

Könnte man denken. Denn nachdem sich Martin Stadtfeld 2003 mit seiner unbekümmert-eigenwilligen Lesart von Bachs Goldberg-Variationen der größeren Öffentlichkeit vorgestellt hatte, begann eine Karriere von atemberaubendem Tempo. Das Publikum war hingerissen, der Kritik lieferte er Zündstoff. Schon viermal hat er den "Echo Klassik"-Preis bekommen, von den internationalen Festivals und großen Konzertreihen ist er nicht mehr wegzudenken. Heute Abend kommt Martin Stadtfeld in die Laeiszhalle, auf dem Programm stehen Werke von Bach, Beethoven und Schubert.

Ohne harte Arbeit ging es bei Stadtfeld natürlich ebenso wenig ab wie bei irgendeinem anderen Solisten. Im Gespräch zeigt sich der 30-Jährige denn auch nicht als affektierter Star, sondern als ernsthafter Musiker, hoch konzentriert und reflektiert. "Das Äußere hat mit der Musik nichts zu tun", sagt Stadtfeld. "Die Leute wollen im Konzert die Augen schließen und in ihrem Innern eine andere Welt finden." Er strahlt eine Ruhe aus, als gäbe es keinen Terminplan. Die Hände bewegen sich in fließenden, ruhigen Gesten, er scheint jedes Wort zu wägen.

Auch seine jüngste CD "Deutsche Romantik" verkörpert den Widerspruch zwischen Verpackung und Inhalt. Vom Cover schaut er so elegisch-sehnsuchtsvoll, wie es das Klischee will - aber die Stückeauswahl verrät, wie genau er den Geist der Romantik, ihr Streben nach Ursprünglichkeit erfasst hat: Handverlesen sind die Werke von Schumann, Wagner, Liszt und Brahms, jedes hat seinen Platz in der Dramaturgie.

Wenige Konzertformen verlangen dem Künstler so viel an Präsenz und Perfektion ab wie ein Soloabend. Verstecken gilt nicht, es zeigt sich der ganze Mensch. Und der ist keine Maschine. Mal bringt Martin Stadtfeld das Klavier zum Singen, zaubert Klangfarben oder provoziert mit einem ungewöhnlichen Zugriff, manchmal dominiert das Perkussive sein Spiel. Immer aber bringt Stadtfeld seine ganze Persönlichkeit hinein, alles, was er aus der eigenen intensiven Auseinandersetzung mit der Musik schöpft.

Und immer wieder kommt er auf Bach zurück. "Mein Zugang zu ihm ist rein intuitiv. Bach ist für mich der romantischste Komponist." Das kann wohl nur jemand sagen, der mit Bach aufgewachsen ist wie Stadtfeld und der von klein auf mit der Komplexität und Vielstimmigkeit vertraut war, die heute so vielen Hörern Schwierigkeiten machen. Ihm ist wichtig, dass die Musik "spricht", also die Motive klar artikuliert sind und die musikalischen Gedanken deutlich hervortreten - nicht nur bei Bach und Mozart, sondern bis hin zu dem Spätromantiker.

In seinen Ferien nimmt sich Stadtfeld wochenlang frei vom Klavier, "hinterher ist man immer ein bisschen besser". Es ist kein Zufall, dass seine Frau und seine engsten Freunde Nichtmusiker sind; statt aufwendige Hobbys zu pflegen, führt er gern Gespräche.

Oder geht spazieren. Die Natur liebt er wie alle Romantiker, hier gibt er auch Konzerte, in einem alten Schafstall zum Beispiel, wo die Spinnenweben an den Wänden hängen. "In einem so ursprünglichen Raum zu spielen, das hat etwas Wahrhaftiges. So wie die Musik selbst."

Martin Stadtfeld heute, 19.30, Laeiszhalle (U Gänsemarkt), Johannes-Brahms-Platz, Karten (20,- bis 60,-): T. 35 44 14; www.martinstadtfeld.de