Zwei vom gleichen Schlag: Elton John und Ray Cooper lieferten beim einzigen Konzert in Deutschland eine fulminante Show in der O2 World.

Hamburg. "Kuscheln Sie doch ein bisschen. Dann sind Sie früher bei Elton John", sagt der Fahrer des Shuttle-Busses auf dem Weg zur O2 World. Kuscheln, so möchte man glauben, sollte eigentlich die liebste Beschäftigung eines Elton-John-Fans sein. Doch im Bus schätzt er es nicht. Im Saal ist dann aber beim einzigen Deutschlandauftritt des Briten von jugendlichen Turteltauben in Turnschuhen bis zum Ruheständlerpaar Händchenhalten mit dauerfeuchten Augen angesagt.

Der Brilli im Ohr blinkt. Zum Hemd in seiner Lieblingsfarbe Pink und der Hose mit Seitenstreifen hat Elton John das Kunsthaar punkig aufgetürmt. Im Schriftzug "Stardust Kiss Elton John" lässt er sich auf seinem Jackett gleich mal vom Sternenstaub küssen. Der einst größte Paradiesvogel des Pop ist auch, nachdem er seinen Feder- und Plüschplunder verscherbelt hat, immer für eine Modesünde gut. Er darf das. Seine Songs sind unkaputtbar, noch immer einhundert Prozent gefühlsecht und über jedes Herablächeln erhaben. Weder das trügerische Glitzern seiner über mehrere Jahre ausverkauften Las- Vegas-Show noch der zweifelhafte Charme mancher Melodien von "Der König der Löwen" konnten seinen Ruf als Musiker ruinieren.

Inzwischen liebt es der 63-Jährige puristisch, weniger amerikanisch. Heute braucht er nur noch einen Flügel, seine Finger, seine nach wie vor expressive Stimme und natürlich einen Sternenhimmel als Bühnenbild. Das war's. Die Musik ist barock genug. Drei Stunden lang arbeitet sich der Brite, bürgerlich Sir Reginald Kenneth Dwight, beflissen und ohne einen Hauch gelangweilter Routine durch Klassiker seines Pop-, Blues- und Boogie-Repertoires. Gerührt erinnert er dabei an seinen ersten Hamburg-Auftritt 1964 im Top Ten Club auf der Reeperbahn.

Statt altbekannter Hits steigt er mit mehreren Songs seines frühen Albums "Elton John" von 1970 wie "Sixty Years On" oder dem "Border Song" ein. Ihr juvenil drängender Impetus wirkt auch bei dem inzwischen 63-Jährigen keineswegs lächerlich. Jeder Ton sitzt. Nach jedem Song steht das Auditorium. Elton John erhebt sich kurz und grinst in seine Hamsterbacken.

Einem wie ihn kauft man all die Oden über die Liebe und die Übel der Welt ab. Er selbst hat sich weder von der Bulimie, den Depressionen, der langjährigen Kauf-, Alkohol- und Drogensucht niederstrecken lassen. Sie waren ihm ein unerschöpflicher Quell der Inspiration. Die Musik hat ihn ganz sicher gerettet - neben seinem Humor, der ihn zum Teenage-Angst-Klassiker "I Think I'm Gonna Kill Myself" auch mal lustige Skelette über die Leinwand tänzeln lässt. Er kennt sich aus mit den Extremen. "Sorry Seems To Be The Hardest Word", die Hymne aller Treulosen, rangiert auf der gegenüberliegenden Seite der Gefühlsskala. "Tiny Dancer" ist noch immer zum Niederknien und das Rumpelpiano von "I Guess That's Why They Call It The Blues" einfach unverwüstlich. Ausreißer nach unten vom eigentlich respektablen, von T-Bone Burnett produzierten Alterswerk "The Union" mit Leon Russell, wie das behäbige "You're Never Too Old To Love Somebody", sind da zu verschmerzen.

Dem Orkus des Vergessens wird Elton John noch lange nicht anheimfallen. Dafür hinterlässt er auch in der aktuellen Popwelt zu viele Spuren. Er arbeitet mit den Scissor Sisters zusammen. Und sogar der erhebende Gefühlsimpetus von Take That ließe sich irgendwie auf Elton John zurückführen.

Im zweiten Teil des Abends lädt sich Elton John mit dem The-Who-Percussionisten ("Mad") Ray Cooper, auch er eine absolute Klasse für sich, einen weiteren Derwisch am Schlaginstrument dazu. Cooper trommelte schon für alle Großen der Branche, für The Who über Pink Floyd bis zu den Stones. Seit den 70er-Jahren ist er auf fast allen Alben von Elton John mit von der Partie. Hier ist er mit einer ganzen Batterie aus Trommeln und Pauken angerückt. Manisch ihre Instrumente bearbeitend feiern die beiden in nachdenklichen Melodien wie "Funeral For A Friend" das Ewigkeitsversprechen des Pop.

Endlichkeit und Ausgrenzung sind große Themen für Sir Elton John. Mit "Ballad Of The Boy In The Red Shoes" erinnert er an einen in den 90er-Jahren an Aids verstorbenen New Yorker Balletttänzer, mit dem wunderbar epischen Prärielied "Indian Sunset" an das Schicksal der Ureinwohner Amerikas. Gerüchteweise hängt der Pianist der Herzen bei jeder Konzertreise ein gold gerahmtes Gemälde von seiner verstorbenen Freundin Diana, Princess of Wales, in seine Garderobe. Den millionenfach verkauften Trauerhit "Candle In The Wind" spielt er seit der Beerdigung nur noch in der Version von 1973. Natürlich ist die Halle da aus dem Häuschen. Elton John sammelt artig Blumen ein, gibt minutenlang Autogramme auf Eintrittskarten. Schwer zu glauben, dass er einen Herzschrittmacher hat. An diesem Abend hat nicht nur der ganze Arbeit geleistet.