Dennoch ist das neue Album des amerikanischen Rappers “My Beautiful Dark Twisted Fantasy“ ein Werk von überragender Vielfalt geworden.

Hamburg. Bescheidenheit ist für Kanye West ein Fremdwort. "Ich bin der Größte!", sagt der 33 Jahre alte Rapper und Produzent über sich. Rhetorik, die im Hip-Hop dazugehört, wo jeder von sich glaubt, der Beste, der Größte, der Schnellste, der Böseste zu sein, und das großmäulig hinausposaunt. "Trash Talk", als Herabwürdigung des Gegenspielers und Provokation vor allem im US-Sport weit verbreitet, hat auch im Showbusiness populäre Nachahmer gefunden. Immerhin ahnt Kanye West, dass er wohl niemals der größte Pop-Künstler aller Zeiten werden wird.

"King Of Pop" bleibt weiterhin der von ihm hochverehrte Michael Jackson. "Ich kann nicht singen und nicht tanzen", gesteht er immerhin ein. Andererseits sprechen 14 gewonnene Grammys und zwölf Millionen verkaufte Alben auch für sich.

Kanyes Arroganz macht ihn nicht gerade zum allersympathischsten Zeitgenossen, seine Kunst überstrahlt jedoch seine Haltung. Das gerade erschienene Album "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" ist ein überragendes Beispiel dafür, dass Hip-Hop doch nicht völlig tot ist, wie man nach der Flut von stupiden Gangsta-Rap-Alben in den vergangenen Jahren annehmen musste.

Kanye West bedient sich bei seinem fünften Album in der reichen Geschichte der populären Musik. Er sampelt Mike Oldfield, The Byrds und Manfred Mann's Earth Band genauso wie King Crimsons "21 Century Schizoid Man", er lädt Gäste aus allen möglichen Genres ein. Hip-Hop- und Soul-Stars wie RZA und Raekwon vom Wu-Tang-Clan, Jay-Z, Rihanna, John Legend und Alicia Keys sind auf dieser Gästeliste weniger überraschend als die britische Sängerin La Roux, Folk-Waldschrat Justin Vernon aka Bon Iver sowie Elton John, der in "All Of The Lights" am Klavier mitklimpern darf.

"My Beautiful Dark Twisted Fantasy" ist musikalisch ein schillerndes Kaleidoskop. "Dark Fantasy" und "So Appalled" enthalten melancholisch klingende Geigen von betörender Schönheit, "Power" erinnert mit seinen dumpfen Trommeln an Indianer-Powwows, "Dark Fantasy" beginnt mit einem Gospelchor. Harte Electrobeats werden als Basis für die Tracks genauso benutzt wie nur von Bass und Schlagzeug gespielte gerade Rhythmen alter Schule. Jede der 13 Nummern ist mit Überraschungen gespickt.

Die Texte reflektieren sowohl amerikanische Wirklichkeit als auch persönliche Erfahrungen des in Chicago aufgewachsenen Rappers. West nimmt wieder mal kein Blatt vor den Mund, ob er nun seine gescheiterte Beziehung zu der Stripperin Amber Rose in "Hell Of A Life" verarbeitet und sich in einen Porno hineinträumt oder sich selbst als gieriges "Monster" darstellt.

In "Gorgeous" rappen Kid Cudi und Raekwon vom Wu-Tang Clan, von einem bluesigen Gitarrensolo untermalt, über den alltäglichen Rassismus, Sklaverei und Geschichtsfälschung. Aber als Opfer sehen sich diese schwarzen Schnellsprecher schon lange nicht mehr. "Sie sollten nicht meine schwarzen Eier vergessen", heißt die deutliche Warnung an das weiße Amerika.

Die Sprache ist rau, der "Parental Advisory"-Aufkleber wegen "expliziter Sprache und Inhalte" obligatorisch, die expressionistischen Bilder des New Yorker Malers George Condo im CD-Booklet düster und blutig. Auch wenn die USA mit Barack Obama von einem afroamerikanischen Präsidenten regiert werden, hat sich an der Wirklichkeit für viele Schwarze wenig geändert. Individueller und institutioneller Rassismus sind immer noch an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund scheinen einige Aktionen und Äußerungen von Kanye West durchaus verständlich, die ihm in seiner amerikanischen Heimat eine Menge Aufmerksamkeit, aber auch genauso harsche Kritik eingebracht haben.

Im vergangenen September stürmte er bei den MTV Awards die Bühne, auf der das weiße Country-Pop-Püppchen Taylor Swift gerade den Preis für das beste Video entgegengenommen hatte. "Dieser Preis gehört Beyoncé", verkündete Kanye. Für diese Aktion kassierte der Rapper sogar Schelte aus dem Weißen Haus. Einen "Volltrottel" nannte Präsident Obama den Künstler mit dem frechen Mundwerk. Obamas Vorgänger George W. Bush war ein paar Jahre zuvor angesichts des Missmanagements nach der Hurrikan-Katastrophe in New Orleans von Kanye West scharf kritisiert worden. "Bush ist ein Rassist", hatte der Künstler erklärt - und dafür Beifall aus der Gemeinschaft der Afroamerikaner kassiert.

Dass Kanye West, der aus der schwarzen Mittelschicht stammt, mit seinem opulenten Hip-Hop auch politische Absichten verfolgt, zeigt sich am Ende von "My Beautiful Dark Twisted Fantasy". Das Schlusswort auf Kanyes Album gehört nämlich dem schwarzen Poeten Gil Scott-Heron. "Alles, was ich will, ist eine gute Wohnung, eine Frau und Kinder und genügend Nahrung, um sie jeden Tag satt zu bekommen", reimte Scott-Heron im Jahr 1970 in seinem Spoken-Word-Stück "Comment #1". Ein Satz, der auch 2010 nichts von seiner Relevanz verloren hat.