Die Pop-Mauer in den Köpfen ist längst weg. Und einst “Ostrocker“ genannte Bands wie Silly und Karat sind immer noch da - live in Hamburg.

Die Katze hatte in meinen Schlafsack gestriezt! Wohlgemerkt: die Berliner Katze. Das war 1998 in einem noch unsanierten Altbau in Prenzlauer Berg. Von Hauptstadt-Hype war damals noch nicht viel zu spüren, aber von zu viel Feuchtfutter im Katzennapf. Aber unser Gastgeber, das Mädchen aus Ostberlin, konnte nichts dafür. Es war das Viech ihres Mitbewohners.

Jenes Mädchen, meine erste "Ost-Bekanntschaft", hieß Daniela und lief mir ein Jahr vor dem Katzenharndrang abends am Strand in Portugal über den Weg. Meine Schwester stellte mich auch gleich vor: "Gib dir keine Mühe, der Typ ist schon vergeben", sagte sie und zeigte auf mich. Das war egal, ich wollte einfach nur jemanden aus Berlin kennenlernen, es war nämlich toll damals, Freunde an der Spree zu haben, die Obdach, Berliner Mundart und Klub-Insiderwissen zugleich versprachen.

Ich fuhr bis 2001 manches Mal von Hamburg nach Berlin, oder anders gesagt: wir. Daniela war nämlich so unglaublich hübsch, rothaarig und unterhaltsam, dass sie in meinem Bekanntenkreis zu einer Art Touristenattraktion für ledige Hamburger wurde. Ich bot die entsprechenden Gruppenreisen an.

Mein Prospekt: Kurzurlaub in der Platte an der Märkischen Allee in Marzahn oder im Prenzlberg-Altbau, hochsommerliche Schwitzfahrt im übermotorisierten, aber unterklimatisierten Fiat Uno über die "TransSib" (die ehemalige Transitstrecke), Besichtigungen vom Reichstag bis zum Maria im Ostbahnhof und Party mit Daniela und ihrer ebenso hübschen großen Schwester. "Benutze redlich deine Zeit, denn gleich treffen wir das Mädchen aus Ostberlin", sagte ich zu meinen Mitreisenden, "aber nur gucken." Sie war ja auch meistens schon vergeben. Und bloß nicht auf irgendwelche albernen Klischeethemen wie "Ostrock" ansprechen, der spielte damals eh keine Rolle mehr.

Nicht mal im Plattenschrank von Danielas Eltern dominierten Karat, Puhdys oder Silly. Aber eine exquisit sortierte Sammlung von Bruce Springsteen bis zu den Stones. Daniela selber hörte Lenny Kravitz und Bob Marley. So war das damals. Man rauchte zwar noch gern "f6", hörte aber Musik, die überall zeitlos war und ist.

Und Ostdeutschland hat sich auch musikalisch schnell erfolgreich neu erfunden. Der Weg, die Pop-Mauer in den Köpfen zu sprengen, führte zu den Prinzen und Rammstein, zu Tokio Hotel, Marteria, Polarkreis 18, Silbermond, Jennifer Rostock, Clueso, Subway To Sally, Northern Lite oder In Extremo.

Mittlerweile liegt Thüringen in der ewigen Tabelle von Stefan Raabs "Bundesvision Song Contest" hinter Berlin auf Platz zwei, alte DDR-Punk-Aufnahmen sind Sammlerstücke und Silly eroberte jüngst 32 Jahre nach der Gründung in (Ost-)Berlin den dritten Platz der Albumcharts. Dass der Auftritt von Silly am 7. Dezember in der Hamburger Großen Freiheit 36 ausverkauft ist, liest sich da nur noch wie eine Fußnote in der Popgeschichte.

Ost, West, Karat, Silly, Peter Fox, Beatsteaks - die Herkunft spielt keine Rolle mehr. Außerdem sind jetzt sowieso alle Berliner, sogar Marius Müller-Westernhagen. Und Udo Lindenberg hat jetzt ein Musical in der Hauptstadt: "Mädchen aus Ostberlin". In seinem gleichnamigen Lied von 1986 heißt es: "Mädchen aus Ostberlin, das war wirklich schwer. Ich musste gehen, obwohl ich so gerne noch geblieben wär. Da muss doch auf die Dauer was zu machen sein." 1990 durften endlich alle hin, heute wollen alle hin. Viele kennen jetzt ein Mädchen in Berlin. Mitte.

Nur ich nicht mehr. Daniela zog es irgendwann nach j.w.d. - janz weit draußen. Nach Australien. Ich habe sie nie mehr wiedergesehen.

Karat Fr 26.11, 21.00, Fabrik (S Altona), Barnerstraße 36, Karten 22,20 im Vvk.; www.karat-band.de

Silly Di 7.12., 20.00, Große Freiheit 36 (S Reeperbahn), ausverkauft; www.sillyhome.de