“Die Heiligtümer des Todes“ verlässt die typische Umgebung und gewohnte Handlung. Der erste Teil des Finales ist ab Donnerstag zu sehen.

Die dösigen Dursleys verlassen ihr Haus am Ligusterweg. Hermine belegt ihre Eltern mit einem Vergessenszauber und verlässt ihr Zuhause. Hogwarts, das legendäre Zauberer-Internat, spielt keine Rolle mehr. "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes", Folge sieben der Potter-Filme, entlässt das altbekannte Personal endgültig in eine gefährliche Welt.

Was Fans im vorletzten Film des Potter-Finales erwartet, ist ein Wechsel von Kampfszenen und Waldwanderung: Weil sich der Kampf der "guten" Zauberer gegen die Anhänger des bösen Lord Voldemort zuspitzt, ist das Trio Harry, Ron und Hermine die meiste Zeit über auf der Flucht in die Wildnis. Regisseur David Yates, der schon Teil fünf und sechs gedreht hatte, spart nicht an Action, zum Glück aber auch nicht an Bildern: Sah man früher aus der Luft vor allem den Hogwarts-Express durch die Landschaft rattern, wurden nun offenbar ganze Hubschrauberstaffeln eingesetzt, um Harrys Rückzugsorte an den windgepeitschten Küsten Schottlands oder im Forest Dean ins Bild zu setzen.

Hauptthema dieser Potter-Folge ist ja gerade nicht Action, sondern Überlebenswillen und Kombinationsgeist. In der Romanvorlage legte Autorin Joanne K. Rowling ganz neue Handlungsstränge an: Nach dem Tod von Harrys Beschützer Albus Dumbledore geht es nun plötzlich um die Suche nach sogenannten Horkruxen, magischen Artefakten, in denen Voldemort Teile seiner Seele versteckt hat und die zerstört werden müssen. Nur: Wo sind sie?

Die Notgemeinschaft Horkruxe tut ihr Bestes, aber Harry, Ron und Hermine sind da draußen so verletzlich wie nie. Sie hocken im Zelt dicht aufeinander, und ihr Ziel ist unklar. Beste Voraussetzungen also, um ihre Freundschaft einer Zerreißprobe auszusetzen, so wie bei Frodo und Sam auf der Reise durch Mordor. Gute zwei Stunden lang absolvieren die drei ein Survivaltraining - fast möchte man ihnen eine Kraftbrühe ins Zelt reichen.

Aber der Wald ist ihnen nicht genug. Denn es geht auch um Voldemorts wachsende Macht. In der "Halbblut"-Folge, gedreht auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, schreddern die Todesser gleich am Anfang die Londoner Millennium Bridge und terrorisieren das Bankenviertel - nach Meinung britischer Rezensenten eine ausgezeichnete Wahl. Solche Anspielungen gibt es diesmal nicht. Die von Furcht und Konkurrenz gezeichneten Beziehungen unter Voldemorts Anhängern passen eher in den Führerbunker. Unter der Herrschaft der Todesser entsteht ein Polizeistaat, wie immer im britischen Film eine Mischung aus George Orwells "1984" und dem Dritten Reich. So wirkt auch das Zaubereiministerium mal wie Orwells "Ministerium für Wahrheit" und mal wie das Gestapo-Hauptquartier.

Die im Roman manchmal langatmige Handlung und die verwirrende Horkrux-Suche hat Yates gut gestrafft. Während ultraschnelle Schnitte zu Wummersound in der "Halbblutprinz"-Folge noch allzu sehr dominierten, wechselt Tempo diesmal mit erholsam langen Bildsequenzen. Ob es die artistische Mopedfahrt von Hagrid und Harry durch den Liverpooler Mersey-Tunnel ist - die an "Men in Black" erinnert - oder die intensive Auseinandersetzung der drei Hauptdarsteller im Zelt: Die Ausstattung ist perfekt.

Und mal ehrlich: Mehr ist ja auch nicht zu verlangen von der Verfilmung eines lange bekannten Romanendes. Wie seine Vorgänger ist "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" ganz und gar kein Kinderfilm. Die "Generation Potter" ist neben den Hauptdarstellern ja über zehn Jahre mitgealtert, die mitlesenden Eltern auch.

Fantasy ist zu einem großen All-Age-Genre geworden, befeuert vor allem von den "Herr der Ringe"-Filmen, von Cornelia Funkes Romanen und von den Vampir-Amoretten der Stephenie Meyer. Und dieses Genre lebt nun mal nicht von der psychologischen Tiefe, sondern von den großen Missionen der Protagonisten: die Welt retten, das Gute bewahren - oder aber die Liebe zu finden, die angeblich durch alle Welten transzendiert.

Fakt ist, dass inzwischen vor allem Erwachsene in Gegenwelten aufbrechen. Vielleicht ist das eine Reaktion auf die zunehmende Unübersichtlichkeit unserer Wirklichkeit nach 9/11. Man mag es Weltflucht oder Eskapismus nennen.

Aber die magische Welt, wie sie uns bei Harry Potter oder zum Beispiel auch in Meg Cabots neuem Vampirthriller "Eternity" begegnet, ist ja auch nicht sicherer oder netter als die reale. Die neue "urban fantasy" hat ihre Hauptschauplätze nicht auf gotischen Friedhöfen oder alten Schlössern, sondern in der Großstadt.

Fantasy liefert vor allem eins: das Arsenal, das man im realen Leben oft so gerne hätte. Ein Team entschlossener, magisch wandlungsfähiger Mitstreiter. Eine (Ersatz-)Familie, die bei Gefahren zusammenhält. Und ein paar magische Hilfsmittel, mit denen das Leben leichter würde. Wie gern würde man die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge mit einem "Finite!"-Zauber abschmettern. Oder allzu dreiste Vorwürfe, zum Beispiel von Vorgesetzten, mit einem krachenden "Expelliarmus!" entwaffnen. So realitätsfern ist die Zauberei auch gar nicht, weil es - wie wir jetzt wieder im Kino sehen können - auch in der Zauberwelt durchaus Geräteprobleme gibt. Mit Zauberstäben etwa, die nicht kompatibel sind.

Nur wissen wir leider, dass man in der Realität selbst mit dem strahlendsten Patronus-Zauber keinen Castor aufhält. Der Sozialstaat erweist sich als absolut magiresistent. Und womöglich emittieren Zauberstäbe auch CO2.

Aber was wäre Harry eigentlich ohne Voldemort gewesen? Ein frustrierter kleiner Junge auf einem englischen Internat. Was wär Bella aus der Bis(s)-Reihe ohne die aufregende Rivalität des Vampirs Edward und des Werwolfs Jacob? Eine total mittelmäßige College-Trulla.