Menschen können sich an fast alle Bräuche gewöhnen

Bräuche sind so wichtig für das Zusammenleben wir nur irgendwas, soziales Miteinander braucht einen Kitt, der reißfest ist und ordentlich klebt. So wie die Soße an der Martinsgans, die heuer (Achtung: süddeutsche Zeitangabe, "gegenwärtig") wieder zu Ehren des Heiligen Martin gegessen wird. "Martinsgansl" heißt sie in Österreich, o Felix Austria: Wie hast du es gut, darfst jedes Wort verniedlichen. Die Martinsgans wird auch in Hamburg verzehrt, vielleicht auch am Martinstag direkt, der traditionell immer am 11. November ist.

11.11., war da nicht was, irgendwas ... Wichtiges? Na klar, sagt der Kölner, sagt der Mainzer, sagt auch der Münchner. Wir kommen aber später noch mal darauf zurück.

Zunächst verweilen wir bei der Esskultur und am Mittagstisch, er ist reich gedeckt mit entleibtem und gebratenem Federvieh. Auf üppig gefüllten Tellern wird es mit Semmelknödeln und Rotkohl serviert, und wir wollen doch mal festhalten: Die Knödelfresser wohnen eher im Süden und werden bei derben landsmannschaftlichen Kabbeleien gern auch so genannt. Aber gegessen werden Knödel auch im Norden. Genauso wie Weißwurst und Brezel eine willkommene Abwechslung zu Hamburger Labskaus und Bremer Kohl und Pinkel sind.

Und, um das Kulinarische zu verlassen: Wer sich auf die kulturellen, kultischen und rituellen Handlungen anderer einlässt, der erweitert doch zumindest seinen Horizont!

Wie kann man im Februar bei minus 30 Grad lustig sein?

Man muss sich ja nicht gleich in Pamplona von einem Stier aufspießen lassen. Obwohl diese schmerzhafte Prozedur viele notorische, Stichtag 11.11., Karnevalshasser ebenjener Messe des Alkoholgebrauchs, Verkleidens und absolut hemmungslosen Untreuseins ganz sicher vorzögen.

Es geht also wieder los. Kölle alaaf, Meenz is Meenz, wie es singt und lacht usw. usf., herrlich. Die fünfte Jahreszeit, wie die Mordsgaudi auch genannt wird, dauert ja auch, Potztausend, genauso lange wie eine ausgewachsene Klima-Periode, bis Februar nämlich.

Passionierte Karnevalisten, Fastnachter und Faschingsbegeher überlegen sich jetzt schon, als was sie im Februar bei minus 30 Grad lustig sind. Der Verfasser dieser Zeilen ging als Kind in einem kurpfälzischen Dorf Jahr für Jahr als Miesepeter und Launeverderber. Seine Verkleidung kam nie gut an.

Er hatte ja auch die Primärtugenden aufgeschlossener Weltbürger nie verstanden: überschwängliche Toleranz, absolute Offenheit. Diese Charaktereigenschaften helfen bei allen Herausforderungen, die aus dem Aufeinandertreffen mit fremden (oder nur zu bekannten) Bräuchen resultieren. Grundmuster und erste Voraussetzung eines Brauchs ist: Er kehrt stets wieder, man kann sich daran gewöhnen. Zum Beispiel an das aus Irland und Amerika importierte Halloween, das kariesgeschädigten Kindern die Süßigkeitenzufuhr erheblich erleichtert. Kürbisse spielen auch eine Rolle und Streiche. Das kennt man aus der Walpurgisnacht, der Verfasser heckte mit seinen Kumpels in der in seiner Heimat "Hexennacht" genannten Nacht zum ersten Mai einen derart dollen Streich aus, dass sich seine Eltern nach Mitternacht der Polizei gegenüber sahen, der Knabe versteckte sich im Keller.

Stressfreier ist dann doch ein Brauchtum, das schönste Mädchen einer Region zur Maikönigin zu wählen, etwas beunruhigend derjenige, die Maibraut zu verkaufen, so macht(e) man es im Rheinland und in Franken. Ist bestimmt lange her, aber man weiß ja nie. Die meisten Bräuche sind bei uns im Abendland natürlich christlicher Herkunft wie Weihnachten, heidnische Feste sind oft wärmer: Mystikfans feiern die Sommersonnenwende in Stonehenge vor den prähistorischen Steinkolossen. Bräuche sind steinalt.