Hamburgs Bücherhallen-Direktorin Hella Schwemer über Veränderungen, Erfolge, ärgerliche Politiker-Äußerungen und das 111. Jubiläum.

Hamburg. Seit 1996 leitet Hella Schwemer-Martienßen die Hamburger Bücherhallen. In dieser Zeit erlebte Hamburgs Bibliothekssystem einen gravierenden Umstrukturierungsprozess. Am 11.11. wird das 111. Jubiläum gefeiert, die Umstände sind nicht alltäglich. Im Interview erklärt die Direktorin auch, warum die Ausleihgebühren sich trotz des Erfolges beim Kulturgipfel demnächst erhöhen werden.

Abendblatt:

Die Bücherhallen feiern ihr 111. Jubiläum. Ist Ihnen nach Jubeln?

Hella Schwemer:

Durchaus, frei nach unserem Jubiläumsmotto "111 Jahre - frisch, jung, schlau". Es geht uns ganz gut, obwohl die Einsparungen, die uns jetzt bevorstehen, nicht geplant waren. Sie sind auch nicht verständlich, aber ich denke, dass wir einen Weg gefunden haben, damit umzugehen, ohne großen Schaden für das Bücherhallen-System anzurichten.

Sie gelten als die große Gewinnerin des Kulturgipfels. Während die Sparvorgaben der anderen Kultureinrichtungen nur gestreckt wurden, ist es den Bücherhallen gelungen, das jährliche Sparopfer von 1,5 Millionen Euro auf 500 000 Euro zu drücken. Ist das Ihr persönlicher Verhandlungserfolg?

Schwemer:

Das kann man so nicht sagen. Uns kam zugute, dass im Koalitionsvertrag steht, es sollen keine weiteren Bücherhallen geschlossen werden. Es hat ein bisschen Überzeugungsarbeit gekostet, den Koalitionären klarzumachen, dass eine Sparquote von 1,5 Millionen Euro nicht ohne Schließungen zu erbringen gewesen wäre. Schließlich hat man akzeptiert, dass 500 000 Euro die absolute Schallgrenze sind.

Zuvor hatte der Kultursenator Ihnen vorgehalten, dass die Bücherhallen der zweitgrößte Zuwendungsempfänger sind, zugleich aber die Kultureinrichtung mit der geringsten Eigenfinanzierungsquote.

Schwemer:

Das hat mich ehrlich gesagt etwas geärgert. Wenn mich der Senator zuvor nach unserer Kostendeckungsquote gefragt hätte, hätte ich ihm sagen können, dass wir mit 15,9 Prozent die höchste Quote in Deutschland, sicher auch eine der höchsten im öffentlichen Bibliothekswesen in Europa haben.

Was wissen Sie über Ihr Publikum respektive Ihre Kunden?

Schwemer:

Wir haben einen sehr stabilen Stand von etwa 60 000 bei den erwachsenen Vollzahlern. Ich denke, da gibt es so eine Art Familiennutzungseffekt. Man hat eine Karte pro Familie, dann leiht zum Beispiel die Mutter für Ehemann und Kinder mit aus. Insgesamt haben wir 160 000 eingetragene Kunden und pro Jahr 13 Millionen Entleihungen. Jedes Jahr kommen knapp 4,5 Millionen Besucher zu uns. Unsere Homepage wird täglich von 7000 bis 7500 Menschen besucht.

Werden Sie die Gebühren jetzt erhöhen?

Schwemer:

Angesichts der Sparvorgabe bleibt uns gar nichts anderes übrig. Allerdings werden wir sozialverträglich und moderat erhöhen.

Obwohl Sie schon jetzt für die Nutzer das teuerste Bibliothekssystem in Deutschland sind?

Schwemer:

Wir haben aber auch das beste Angebot in Deutschland.

Wie viele elektronische Medien verliehen Sie? Können Sie eine Zahl nennen?

Schwemer:

Im Oktober haben wir 6000 e-Books, aber 1,2 Millionen physische Medien ausgeliehen.

Doch das verschiebt sich doch sicher mit der Zeit.

Schwemer:

Das ist absehbar, auch weil die Trägermedien immer komfortabler werden und sich das Angebot immer mehr verbessert. In der Belletristik wird aber das Buch mit dem damit verbundenen haptischen Erlebnis noch lange Zeit die beherrschende Rolle spielen. Im Bereich der Sachmedien, auch bei populärwissenschaftlichen Themen, sieht das anders aus.

Elektronische Medien kann man downloaden, da muss man nicht in die Bibliothek gehen.

Schwemer:

Ja, aber Bibliotheken sind auch Begegnungsstätten, sie sind offen für Gruppen im Stadtteil, machen unterstützende Bildungsarbeit für Schulen und Kindergärten. Hundert Prozent aller Grundschulen sind an den jeweiligen Standorten Kunden der Bücherhallen. Und wir sind auch mit verschiedenen Projekten in den Schulen präsent.

Die Bücherhallen standen in den 90er-Jahren schon einmal schwer in der Krise. Wo stehen Sie jetzt?

Schwemer:

In den letzten 15 Jahren ist bei uns kein Stein auf dem anderen geblieben. Die Veränderung der Struktur ist bei uns viel stärker ausgeprägt als bei jeder anderen Hamburger Kulturinstitution. Wir befinden uns jetzt in der vierten Konsolidierungsphase. Es gab keine Sparrunde, bei der wir nicht dabei waren. Das ist vielleicht weniger eine Frage mangelnder Wertschätzung als vielmehr eines kurzen Gedächtnisses der beteiligten Politiker.

Wie meinen Sie das?

Schwemer:

Leider wird immer wieder vergessen, was für ein hoch leistungsfähiges und innovatives System die Bücherhallen sind. Unser Jubiläumsmotto heißt eben auch, das man sich permanent weiterentwickeln muss. Und genau das tun wir.

Ursprünglich sollte der Hühnerposten eine Interimslösung sein, weil Sie später an den Domplatz ziehen sollten. Das Domplatz-Projekt ist gestorben, bleibt die Zentralbibliothek nun dauerhaft am Hühnerposten?

Schwemer:

Wir erschließen jetzt die dritte Etage, wir wachsen in den Publikumsbereichen und schränken die Büroflächen ein. Wir werden noch mindestens 20 Jahre in diesem Haus bleiben, das kann natürlich kein Provisorium sein. Deshalb bemühen wir uns, das Haus den Nutzungsanforderungen der Kunden immer besser anzupassen.