Mit “Ein französischer Roman“ gelingt dem französisschen Enfant terrible Frédéric Beigbeder die lang ersehnte Ernsthaftigkeit.

Frédéric Beigbeder arbeitete noch in der Werbung, als er einen Barilla-Spot mit Gérard Depardieu und David Lynch drehen wollte. Das Vergnügen kostete die Agentur drei Millionen Euro. Mehrere Tage wurde in Rom die Piazza Navona gesperrt, Lynch ließ das Team machen. Und Depardieu? War schon morgens so betrunken, dass er keine Nudel mehr erkannte.

Das mit der Werbung war dann bald nichts mehr. Aber nicht nur wegen der Nudeln. Sondern auch, weil Beigbeder die Branche in seinem Roman "Neununddreißigneunzig" hochgehen ließ - weil er einfach mal beschrieb, wie es hinter den Kulissen der schicken Agenturen so zuging. Er war damals bei Young & Rubicam angestellt - und es war niemand Geringeres als Michel Houellebecq, selbst französischer Bestsellerautor, der Beigbeder aufforderte, diesen Roman zu schreiben.

In Frankreich ist Beigbeder seitdem das Enfant terrible der Szene. Bespricht im Fernsehen Filme und ist offizieller Buchkritiker des "Playboy". Mit dem neuen Werk "Ein französischer Roman" will er jetzt erwachsen werden. Die temporeiche Hedonistenprosa, der noch sein 9/11-Roman "Windows On The World" (2002) zuzuordnen war, hinter sich lassen und richtig durchstarten.

Wozu all die Verstellung? Jetzt wird Klartext gesprochen. Alles beruht auf einer wahren Begebenheit. Der Protagonist des neuen Buches heißt Frédéric Beigbeder und wird am 28. Januar 2008 nach einer durchzechten Partynacht geschnappt, weil er beim Koksen die Kreditkarte auf dem Kühler eines Autos vergessen hat. "An diesem frühen Morgen endete meine nicht enden wollende Kindheit." Die Polizei nimmt ihn fest und will seine Identität feststellen. Das ist auch ihm ein Bedürfnis.

In der kalten Gefängniszelle kommt Stück für Stück die vergessene Kindheit zurück. Die Kastanienbäume im Bois de Boulogne. Das Meer beim Großvater in Guéthary. Die Scheidung der Eltern, mit der für das Kind Beigbeder ein Doppelleben beginnt: "Zwei Wohnungen, zwei Weihnachten, zwei Zimmer." Immer wieder Schuldgefühle. Hat Vater die Familie wegen Frédéric und seinem großen Bruder verlassen? Was bleibt den Kindern anderes übrig, als zu ihn verdrängen, die Scheidung zu verdrängen, diesen ganzen unsäglichen Schmerz?

Klar gibt sich der 1965 im Pariser Luxus-Vorort Neuilly-sur-Seine geborene Beigbeder auch im neuen Roman larmoyant selbstironisch, gefällt sich in narzisstischen Posen. Er klagt über "den alles auflösenden Individualismus", glorifiziert die "schlaflose Gesellschaft", die jede Nacht aufs Neue gegen das Erwachsenwerden antanzt. Doch erstmals erreicht Beigbeder dabei eine tiefere Seinsebene. In einer gelungenen Mischung aus Pop und Psychologie lotet er seine persönliche Genese als Autor aus (der als Junge zu schreiben beginnt, um die Ferienerinnerung an den Vater festzuhalten). Und beschreibt gleichzeitig ein Stück französische Zeitgeschichte. Ursprünglich habe er das Buch sogar "Une Jeunesse Française" nennen wollen, zu Deutsch: eine französische Jugend. "Innerhalb einer Generation habe ich das großbürgerliche Frankreich verschwinden sehen", erklärte Beigbeder neulich dem "Berliner Tagesspiegel" in einem Interview. "Ersetzt wurde es durch globalisierte Businessmen. Sie haben überhaupt nichts Aristokratisches mehr oder vom ehrbaren Bürgertum der Provinz, wie ich es kannte. Das war sehr katholisch und monarchistisch und verteidigte Ideen, die es heute nicht mehr gibt."

Mit "Ein französischer Roman" gelingt Beigbeder ein Panorama der vergangenen 50 Jahre in Frankreich. In einer Sprache, die manchmal an die großen französischen Romane des 19. Jahrhunderts erinnert, spürt er den eigenen und den gesellschaftlichen Beschädigungen nach.

Dieser Junge hatte alles. Er wuchs im Wohlstand auf. Nur an Liebe mangelte es ihm. Die nicht gelebte Kindheit holt er jetzt nach: "Es gibt keine Erwachsenen mehr, es gibt nur noch Kinder jedes Alters. Ein Buch über meine Kindheit zu schreiben heißt also, von mir in der Gegenwart zu schreiben."

Frédéric Beigbeder: "Ein französischer Roman". Aus dem Französischen von Brigitte Große. Piper, 253 Seiten, 19,95 Euro