Rodney Graham zeigt unterschwellig Ironisches in der Galerie der Gegenwart und versetzt sich dabei in andere Zeiten und andere Künstler.

Hamburg. Vielleicht ist Graham der bessere Vatermörder. Nicht auflehnend-rebellisch, sondern sorgfältig und hochgradig investigativ sucht er sich seine Opfer aus: Da ist zum Beispiel die Anekdote vom Drummer der Rockgruppe Pink Floyd, der, so die Legende, einst mit Kartoffeln auf seinen Gong zielte. Ein gefundenes Fressen für Graham. Aus ihr wird er die Karriere eines fiktiven Künstlers basteln. Sie beginnt mit dem Ölbild einer Destille Ende der 50er-Jahre, verlagert sich in nüchtern-abstrakte Gemälde und endet vorläufig in der Öde einer mit Kartoffeln angefüllten Zimmerecke.

Rodney Graham, kanadischer Künstler und Preisträger der Biennale Venedig, debütiert in der Hansestadt, heute wird seine Ausstellung "Through the forest" Ausstellung in der Kunsthalle eröffnet. Im Gepäck hat er unterschwellig ironische gebrochene Arbeiten, von Buch-Skulpturen bis zu knatternden Film-Loops. Graham wagt eine amüsant-angelsächsische Wanderung - entlang der Mythen des romantisch geprägten Künstlers.

Am Beispiel des Drummers von Pink Floyd ist das besonders gut zu erkennen. Ihren Höhepunkt erreicht die Wanderung da nämlich im typischen Doku-Schwarz-Weiß eines Videos Ende der 60er-Jahre: Vor jungem, aber ehrfürchtigem Publikum zielt Graham mit Kartoffeln auf einen Gong. Die Treffer werden zu Wodka gebrannt, die Nieten als Salat verköstigt - Pointe eines historischen Leerlaufs. Die romantisch geprägte Moderne, der Graham hier einen fiktiven Abgesang beschert, endet lehrreich aber amüsant.

Mit Wiederholungen und Loops, aber auch mit Übersetzungen gelingt es Graham, sich mit zahlreichen Medien in andere Zeiten und Künstler hineinzuversetzen. Als Autor oder als gespielter Amateur verwandelt er Literatur in Skulptur, veranlasst die Rückübersetzung von Übersetztem oder zelebriert kleine Geschichten zu komischen Filmen. Sigmund Freud landet auf diese Weise als Skulptur in Kästen, deren Formate unmittelbar an den Minimalisten Donald Judd erinnern.

An anderer Stelle ruht eine antiquarische Preziose, das Buch eines Naturwissenschaftlers, in einem Schrein, der es gleichsam zur Reliquie erhebt. Texte und Inhalte erstarren zu glanzvollen Skulpturen wie jene alte Schreibmaschine Marke "Rheinmetall", deren Tasten Graham im Film mit einem Schneetreiben aus Mehl zum Verschwinden bringt.

Geradezu perfekt beherrscht Graham die Kunst, mit fiktiver Rekonstruktion und Übersetzungen von einem Medium ins andere seine Themen zu dekonstruieren. Unter anderem lässt Graham den amerikanischen Abstrakten Louis Morris in Form eines fiktiven Amateurs wiederauferstehen. In dessen modernem, an die Architektur Richard Neutra angelehnten Haus versucht sich dieser an der Kunst des Meisters.

Bis auf den letzten Winkel hat Graham diese Szene aus den frühen 60er-Jahren rekonstruiert, sodass das gesamte Ambiente vom Zeitungspapier bis zur Tonbandmaschine den Ruch der Authentizität ausströmt. Aber Graham legt seine Mittel offen. Er tarnt und täuscht nicht, lädt sein Publikum dazu ein, an der fiktiven Rekonstruktion von Geschichte teilzunehmen. Selbst die mechanische Vorrichtung für den Film-Loop wird da in den Stand einer autonomen Skulptur erhoben.

"Mehr Licht" sollen Goethes Worte auf dem Sterbebett gewesen sein. Graham sorgt dafür in der Kuppel des Neubaus. Hier gibt's mehr Licht zu den dröhnenden Schallschlägen eines Helikopters, der in der Nacht seine Suchscheinwerfer ins Dickicht eines Waldes richtet. Spotartig und unter fast unerträglichem Lärm der Maschine offenbart sich für einen Moment, wovon Romantiker, Philosophen, Aufklärer oder Dionysos mit der Laterne träumen: die Lichtung, der Hort des Luxus, der den Menschen zur Erkenntnis verhilft.

Rodney Graham: Through the forest. Galerie der Gegenwart, Glockengießerwall, bis 30.1.2011. Dienstag bis Sonntag 10-18 Uhr, Donnerstag 10-21 Uhr, montags geschlossen