Der amerikanische Autor Richard Russo hat mit “Diese alte Sehnsucht“ den Roman dieser Buchmesse geschrieben. Eine Nachlese.

Einen Ehe- und einen College-Roman hat Richard Russo geschrieben, angereichert mit einem Teil Hollywood-Roman. Und natürlich auch einen über die Midlife-Crisis eines Mannes, der seit 30 Jahren verheiratet ist und seit mehr als 50 Jahren unter den Dämonen seiner Eltern leidet. Ungeliebt, unbeachtet, unfroh fühlt sich Jack Griffin, der einst als Drehbuchautor in Hollywood gelebt hat und der nun das Leben eines Akademikers in Connecticut an der Ostküste der USA führt. Der in seinen mittleren Jahren versucht, sich als Mann, Vater, Sohn, Professor und Ehemann neu zu definieren.

Das ist nicht immer lustig, aber gelegentlich schon. Denn Russo vermeidet Bitterkeit und Düsternis, die leicht mit dem Thema einhergehen könnten. Und lässt stattdessen all die guten wie die schlechten Momente, die das Familienleben mit Eltern, Tochter, Ehefrau und angeheirateten Verwandten mit sich bringt, als das durchgehen, was sie sind: als die einzig wahren Wurzeln, die man hat. Als Leser fühlt man sich getroffen, weil man genauso leicht in die Wechselfälle des Lebens rutschen kann (oder auch schon gerutscht ist) wie Russos Protagonist Griffin. Das macht die Lektüre amüsant, angenehm und irgendwie authentisch.

Richard Russo schreibt in der Tradition der großen zeitgenössischen US-Erzähler. Als Chronist und Seismograf seiner Zeit. Über Menschen aus der Mittelklasse, die irgendwann den Blues bekommen, weil sie meinen, im Leben zu viele Kompromisse gemacht zu haben. "Die späten mittleren Lebensjahre, so viel verstand Griffin jetzt, das war die Zeit im Leben, in der alles so vorhersehbar war und in der man trotzdem kläglich dabei versagte, irgendetwas davon auf sich zukommen zu sehen." Wie wahr!

Für seinen Roman "Empire Falls" hat Russo 2002 den Pulitzerpreis bekommen. Das Gesellschaftsporträt einer Kleinstadt wurde unter anderem mit Paul Newman und Philip Seymour Hoffman verfilmt. Beide spielten schon in der Hollywood-Verfilmung von Russos Roman "Nobody's Fool" mit. Man kann sicher sein, dass Russo, der an der Ostküste lebt und früher Hochschullehrer war, in seine Romane sehr viele eigene Erfahrungen einbringt.

Russo beschreibt nun, in seinem siebten Roman, ein Jahr seines ebenso traurigen wie komischen Helden, in dem dieser versucht, sein Leben und seine Ehe neu zu justieren. In dem er sich von Erinnerungen, Träumen und Gefühlen treiben lässt. Die Geschichte beginnt damit, dass Griffin alleine ans Cape fährt, wo er die Hochzeit einer Freundin seiner Tochter besuchen will. Ehefrau Joy will nachkommen. Beide haben sich vorgenommen, noch einmal die Orte aufzusuchen, an die sie ihre Hochzeitsreise gemacht haben.

Doch Griffin spürt auf der Autofahrt nicht nur all die Malaisen, unter denen seine Ehe so leidet. Er erinnert sich vor allen Dingen an die unglückliche Ehe seiner Eltern, die jeden Sommer am Cape verbrachten, ihrem Sehnsuchtsort. Er hört die Stimmen seiner Eltern, die für alles, was andere Menschen hatten, stets nur zwei Kommentare losließen: "Möchte ich nicht geschenkt haben" oder "Können wir uns nicht leisten". Die Eltern, beide Hochschullehrer, die es in den Mittleren Westen verschlagen hatte und die permanent davon träumten, eines Tages an einer guten Uni an der Ostküste zu landen, waren nörgelige, unpraktische, unglückliche Menschen, die sich für etwas Besseres hielten, einander betrogen und die so sehr mit sich selbst beschäftigt waren, dass sie ihren Sohn darüber vergaßen. Im Kofferraum fährt Griffin die Urne seines Vaters herum, deren Asche er an einem passenden Plätzchen verstreuen will. Nur findet er diesen Ort nicht. Ein Jahr später wird er noch eine zweite Urne dabeihaben, die seiner Mutter. Einer Mutter, deren mahnende Stimme er selbst nach ihrem Tod noch im Ohr hat. Im Unterschied zu dem verrückten, amoralischen Leben seiner Eltern, wollte Griffin immer verantwortungsvoll leben, merkt aber, dass man sich kaum von dem Erziehungsmuster entfernen kann, dem man zu entkommen hofft. Er ist lange unfähig, das Gute an seinem Leben zu erkennen.

Da ist er wieder am Cape, lebt aber inzwischen in Kalifornien und schreibt Drehbücher, denn seine Frau hat sich von ihm getrennt. Endlich ist er frei. Doch ist er glücklich? Und wieder sucht er danach, was ihn glücklich macht. Beide treffen sich mit jeweils neuen Partnern auf der Hochzeit ihrer Tochter wieder. Und auch die Schwiegereltern seiner Frau, deren Geschwister, die er alle stets für spießig, wenn nicht verrückt hielt, ein unglücklicher Jugendfreund der Tochter - all diese Menschen erinnern Griffin daran, dass es sehr variantenreiche Formen des Zusammenlebens gibt und dass er sich mehr und mehr von der Vergangenheit lösen kann, die er lange nur als Umklammerung empfand. Und die er nun, da er unabhängig ist, als etwas begreift, das unbedingt zu ihm gehört.

"Diese alte Sehnsucht" heißt im Original "That Old Cape Magic" und erinnert damit an den Jazz-Klassiker "That Old Black Magic". Der handelt davon, dass man wie von Zauberhand einfach nicht voneinander loskommt. Weil die Vergangenheit manchmal die Gegenwart so fest im Griff hat, dass man die Zukunft nicht mehr erkennt. Bis dann der Knoten platzt.

Richard Russo: "Diese alte Sehnsucht", aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Dumont Verlag, 350 Seiten, 19,95 Euro