In “Mein Deutschland, dein Deutschland“ schildern “Tagesthemen“-Moderator Tom Buhrow und seine Frau Sabine Stamer ihre Heimat, ohne zu nörgeln.

Sich schreibend dem Zustand unseres Landes versichern, das versucht dieser Tage manch einer. Sei es aus Kalkül oder die Umsetzung eines lang gehegten Traumes. Die emotionalen Aggregatzustände der Bücher reichen von launig-belanglosen Erlebnisberichten wie Jon Flemming Olsens "Der Fritten-Humboldt" über das Innenleben deutscher Currywurstbuden bis zu Thilo Sarrazins zwischen zwei Buchdeckel gepresstem Aufschrei "Deutschland schafft sich ab", den die mediale Empörungswelle noch am Erscheinungstag in die Bestsellerlisten katapultierte.

Auch "Tagesthemen"-Moderator Tom Buhrow und seine Frau, die Autorin Sabine Stamer, haben sich ihrer Heimat literarisch angenommen, wobei sie auf parteinehmenden Journalismus ebenso verzichten wie auf den ausgestreckten Zeigefinger. In "Mein Deutschland, dein Deutschland" gelingt ihnen das kleine Kunststück, zu beschreiben, ohne zu bewerten. Und den Leser doch zum Nachdenken anzuregen. Darüber, warum Schule hierzulande der Ruf des "Glückskillers Nr. 1" vorauseilt; weshalb wir in politischen Diskussionen früher oder später stets beim Thema Einwanderung landen, und aus welchem Grund wir es so schwer ertragen, wenn der Nachbar im neuen Porsche vorfährt (Denkt wohl, er sei was Besseres, der Typ!).

Ähnlich wie das 2006 erschienene "Mein Amerika, dein Amerika" sollte auch das neue Buch kein "Thesenroman" werden, sagt Tom Buhrow. Kein apodiktisches Sachbuch samt Anleitung zum Besserleben, wie es in diesem Segment als verkaufsförderlich gilt. Stichwort: keine Kohlenhydrate nach 18 Uhr! Wer was (lassen) sollte - Schlüsse wie diese zu ziehen, bleibt dem Leser in den 19 Geschichten von "Mein Deutschland" selbst überlassen. Zweierlei gefällt an diesem Buch besonders: Sein Titel ist viel weniger wörtlich zu nehmen, als der erste Eindruck vermuten lässt. Das gemischte literarische Doppel Buhrow/Stamer schneidet keine explizit weibliche Perspektive gegen den Männerblick aufs Land. Auch trifft die Stimme des prominenten Nachrichtenmannes nicht auf die Otto-Normalverbraucher-Sicht seiner Frau Sabine. "Mein Deutschland, dein Deutschland" versammelt doppelt durchdachte Gedanken darüber, wie die Uhren in diesem Moment in diesem Land ticken - und man möchte wetten, dass den Kapiteln mehrstündige Diskussionen über den erkalteten Resten des Abendessens vorangegangen sind.

Das selbst auferlegte Ziel: Jede Geschichte soll etwas über Deutschland erzählen, ein Charaktermerkmal seiner Bewohner, ein landestypisches Phänomen, eine Emotion, die sich durch mehrere Generationen zieht. Deutschland, das ist für die Autoren etwa frisches Brot in allen Variationen. Spaziergänge am Wochenende mit der ganzen Familie (ohne bestimmtes Ziel, nur "raus an die Luft"), deutsche Korrektheit - obwohl: In diesem Fall bestätigt die Ausnahme die Regel, wie gleich das erste Kapitel über einen von Vertragsungeheuerlichkeiten begleiteten Hauskauf der Familie beweist, der sich liest wie ein Kurzkrimi: der Container mit den Möbeln auf hoher See, die Familie in den Vereinigten Staaten ohne Internet und Telefon auf geliehenen Klappstühlen, der Notar abgetaucht.

Auch Dinge, auf die wir so stolz sind, dürfen (und müssen) gelegentlich hinterfragt werden, sagt dieser mit einem Augenzwinkern beschriebene Einstieg in die Deutschlandreise. Anderes wiederum wäre einfacher, wenn wir nicht so viel Zeit mit Jammern verbringen würden. "Vielleicht würde man Deutschland schon viel mehr lieben, wenn sich die Deutschen selbst lieben würden", sagt Sabine Stamer. Weil also landauf, landab genug gejammert wird, sollte "Mein Deutschland" vor allem eines nicht werden: ein Nörgelbuch. Leicht gesagt, schwer geschrieben. Wo dem Blick auf das Fremde immer eine natürliche Komik innewohnt, sind Alltagsbeschreibungen weitaus komplizierter und selten überraschend. Wie's vor der eigenen Tür aussieht, weiß der Leser schließlich selber (und das meist ja ohnehin besser).

Buhrow und Stamer haben sich für den Blick der Heimkehrer entschieden, die nach über zehn Jahren aus den USA nach Deutschland zurückzogen. Dadurch gelingt ihnen eine liebevoll-ironische Distanz zu ihrem Gegenstand, den sie bei den Themen Arbeitssuche, Integration oder Familienpolitik nachdenklich betrachten; wenn es um Schnäppchenjäger und Labelwahnsinn geht indes mit pointierten Spitzen bedenken. Dieses abschließende Kapitel ist ein Höhepunkt des Buches, es sagt auf gerade einmal acht Seiten viel darüber aus, warum wir Deutschen um jeden Preis locker sein wollen und dabei so schrecklich verkrampfen. Wenn jeder Hemdknopf ein Statement ist, kann es ganz schön anstrengend sein, das Leben in Deutschland.

Tom Buhrow und Sabine Stamer: "Mein Deutschland, dein Deutschland" (Rowohlt Verlag), Do 16.9., 19 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte (Holstenwall 24), Moderation: Theo Sommer, Eintritt: 12,00 Euro.

Außerdem am 16.9. beim Harbour-Front-Festival: Philipp Meyer: "American Rust". 21 Uhr, "Cap San Diego" (Überseebrücke), Eintritt: 12,00 Euro.

Rana Dasgupta: "Solo". 20 Uhr, Kirche St. Katharinen (Katharinenhof 1), Eintritt: 12,00 Euro.