Ein Literatur-Jahrgang wird besichtigt: Die Debütantensalons auf dem Harbour-Front-Festival zeigen junge, aber kaum unbeschwerte Prosa.

Hamburg. In Monika Goetschs Roman "Wasserblau" geht es um die Fliehkräfte des verschütteten Familiendramas (Kindstod). Milena Michiko Flasar begräbt in "Meine unbekannte Mutter" ebendiese. Ein Trauerbuch ist auch Lisa-Marie Dickreiters "Vom Atmen unter Wasser". Der Stoff, bereits vor Erscheinen als Roman verfilmt, behandelt den Albtraum schlechthin, der eine Familie heimsuchen kann: Die Tochter und Schwester wird ermordet. In Nino Haratischwilis Roman "Juja" geht es im Kern um eine merkwürdige Serie von Selbstmorden, Joachim Geil beschreibt in "Heimaturlaub" den Abdruck des Krieges. Ein Soldat wird in der idyllischen Provinz von den Schrecken der Ostfront gequält. Es ist harte Kost, die die Debütanten 2010 dem Literaturbetrieb liefern . Sie begeben sich in den familiären Nahkampf, untersuchen Generationenkonflikte und können nicht von der verhängnisvollen deutschen Geschichte lassen.

Typisch für die hiesige Prosa, könnte man meinen, und in der Tat scheint die junge Literatur so schwer wie die alte von Grass, Böll und Walser. Es sind keine unbeschwerten Geschichten, die hier von den jungen Autoren erzählt werden.

Die vielversprechendsten deutschen Jungliteraten lesen dieser Tage auf dem Harbour Front Literaturfestival im "Debütantensalon", ein schöner Name für eine schöne Sache. Die zwölf nach Hamburg eingeladenen Dichter sind zwischen 1964 und 1983 geboren, das lässt sich schwerlich zu einer altersbezogenen Einheit ausrufen. Denn Tatsache ist: Wann immer sich die Möglichkeit ergibt, in der deutschsprachigen Literatur den einen oder anderen Trend auszumachen, wird sie von Lesern und Kritikern ergriffen. Am liebsten wird einer bestimmten Generation ihr jeweiliger Sound attestiert; wie überhaupt das Generationen-Konzept unabdingbar ist in den Ordnungssystemen der Literatur. Heute liegt die Sache eben nicht so einfach wie bei den Repräsentanten der Popliteratur (ein nerviges Label) Ende der Neunzigerjahre, die alle gelangweilt und konsumgeil waren und irgendwann zwischen 1965 und 1975 geboren. Den Debütanten-Jahrgang 2010 verbindet kein ähnliches Zeitempfinden, sondern in der Auswahl der Sujets vor allem der Wille zur Introspektion und zum ernsten Thema.

Ausnahmen bestätigen die Regel: Christoph Poschenrieder gelingt im Schopenhauer-Jahr mit "Die Welt im Kopf" eine heitere, charmante Hommage für den Philosophen (auf den literarischen Spuren Kehlmanns), und Markus Feldenkirchen schreibt mit "Was zusammengehört" sentimental und etwas klischeehaft über die erste Liebe vor dem Mauerfall.

+++ Dossier: Das Harbour Front Literaturfestival 2010 +++

Gar nicht klischeehaft, sondern schlichtweg sensationell erzählt die auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stehende Berlinerin Judith Zander. Auch in ihrem Roman "Dinge, die wir heute sagten" geht es um die deutsche Geschichte, betrachtet wird sie vom Jahr 1999 aus und aus der vorpommerschen Provinz. Der Ort Bresekow ist fiktiv, aber wie realistisch wirken die Figuren! Zanders Generationspanorama liegt irgendwo zwischen Ingo Schulzes "Neue Leben" und Uwe Johnsons "Jahrestage" und blättert in der Geschichte, wenn es die Lebensbücher der Figuren aufschlägt. Das psychologische Raffinement ist augenfällig. Die Lebensklugheit der 1980 geborenen Autorin ist beeindruckend; souverän, mit viel Einfühlungsvermögen setzt sie den Gedankenströmen dreier Generationen nach.

Die Höhepunkte auf dem Harbour-Front-Festival heute

Die Prosa der Jungautoren kreist nicht mehr um hedonistische Lebensentwürfe, nicht um Berlin und auch nicht ums eigene Ich. Wenn man den Debütantenjahrgang auf einen gemeinsamen Nenner bringen kann, dann auf den, dass die Party vorbei ist.

Debütantensalon 13.9. (Inger-Maria Mahlke, Judith Zander, Sascha Reh) und 15.9. (Joachim Geil, Milena Michiko Flasar, Lisa-Marie Dickreiter) jeweils 18 Uhr, "Cap San Diego", Eintritt 8 Euro