Es gab mal eine Zeit, da hat Xavier Naidoo gesungen wie ein Gott. Bei seinem Konzert auf der Trabrennbahn hat er begeistert. Immerhin.

Hamburg. Die erste Überraschung des Abends war inszeniert. Es war der Moment, als Xavier Naidoo seine Sonnenbrille abnahm, irgendetwas von "Durchblick" und "besser sehen" sagte. Jedenfalls just dann schrien seine weiblichen Fans auf. 20 Minuten lief das Konzert seiner "Alles kann besser werden"-Tour auf der Trabrennbahn Bahrenfeld bereits. Er nimmt also seine Sonnenbrille ab, na und?

Das war eben an diesem Abend schon viel für einen vermummt zugeknöpften Naidoo. Kapuzenjacke, Schiebermütze, Jeans, feste Schuhe, Sonnenbrille, perfekt für einen Wandertag im Voralpenland. Die Augenentblößung aber war wie gesagt nicht zufällig, sondern war die ach zu bildsprachliche Ankündigung seines nächsten Liedes: "Führ mich ans Licht".

1998 war "Führ mich ans Licht" die dritte Singleauskopplung seines ersten Soloalbums "Nicht von dieser Welt". Damals war Naidoo der neue Star der deutschen Pop-Szene. Im dazugehörigen Musikvideo tanzte er federleicht, gekleidet sehr geschmeidig in schwarzem Anzug oder ganz in Weiß. Engel und Teufel, doppelbödig, Ying und Yang, Antithese und These, postmodern wie die 90er. Eine Aussage mit Anspruch. Er wurde gefeiert, manche handelten ihn als neuen Grönemeyer, bloß in Schön.

Der Wanderlook zwölf Jahre später ist Zeichen für einen gewachsenen Star, für einen 38-Jährigen, der keine Frage mehr in sich trägt, meint, nichts mehr beweisen zu müssen.

Und auf sehr solide Art nicht mehr begeistert. Natürlich wurden seine Hits wie "Dieser Weg" oder neuer "Alles kann besser werden" mitgesungen, aber gerade bei den unbekannteren Nummern schaffte er es nicht mitzureißen. Gut, es war kalt, der Trabrennbahn-Boden matschig, einige der rund 9000 Besucher trugen Gummistiefel und Regencapes, und das war eine gute Sache: Festivalstimmung, und es regnete nicht mal. Es war sogar fast romantisch, Abendsonne, im Zehn-Minuten-Takt starteten Flugzeuge über der Trabrennbahn und weckten Sehnsüchte. Man kann also nicht sagen, die Umstände wären schlecht gewesen.

Zudem trat Naidoo mit einer sehr professionellen Band auf. Zwölf Musiker, mehrere Gitarristen, zum Schlagzeug sorgten noch Percussions für den teils sehr satten Beat. Hervorzuheben ist Gitarrist Alex Auer, seine Soli waren leichtfingrige Kostproben des Rock und erinnerten, in Sternsekunden unterstützt von einer schön grellen Lichtshow, an Van Halen und Roger Waters. Naidoo lobte Auer und überließ ihm einen Extraapplaus.

Fast gönnerhaft präsentierte Naidoo dann noch ein weiteres Talent. Den Sänger Daniel Stoyanov. 23 Jahre alt, aus Bulgarien stammend. Er begleitete "den Meister" zu "Gib dich nicht auf". Stoyanov tanzte über die Bühne. Ballte die Faust vor Gefühl, hob die Arme beim Singen, wirkte manchmal nicht ganz souverän, so trug er eine helle Nadelstreifenhose zur Baseballjacke. Eben das Gegenteil von durchgestylt. Aber man merkte ihm an, wie gern er noch länger geblieben wäre. Er brannte.

Der Meister verabschiedete ihn dann mit den Worten: "Ist das ein geiler Sänger?" Ja, ist er. Und Naidoo hat ihn vor drei Jahren entdeckt.

Aber reicht einem Xavier Naidoo, sich auf seiner eigenen Tour als Talentscout zu geben? Ganz klar: nein. Denn Naidoo hätte die Möglichkeiten, vor allem stimmlich. So zeigte er an diesem Abend in seinen Liebesnummern, die nicht seinen Gottglauben weitertragen, sondern an das andere Geschlecht gerichtet sind, wie gut er ist. Wie viel Soul in seiner Stimme liegt. Auch seine dumpfe Anmoderation "Ich bin Obelix" zu seinem Kino-Hit "Sie sieht mich nicht" konnte davon nicht ablenken.

Xavier Naidoo hält sein Privatleben aus der Öffentlichkeit heraus, seine Gefühle aber auch. Das Einzige, was er präsentiert, ist sein Glaube an Gott. Den versucht er in der Menge, die ihm zuhört, zu platzieren. Bei "20 000 Meilen über dem Meer" hob er die Hände zum Himmel und seine Fans taten es ihm nach. Einem Moment lang wirkte er wie ein amerikanischer Fernsehprediger, dem nur noch der Versandhausanzug fehlte. Als er ins Mikrofon rief: "Wir sind die nächste Generation. Wir sind die mit den geilen Ideen. Wir sind die mit den Eiern in der Hose", kam man nicht umhin zu denken, da singt einer über sich selbst. Und als er dann das Publikum noch aufforderte: "Sag Ja", und es ihm laut "Ja" antwortete, es weiterging mit "Sag Ja zu Deutschland", "Sag Ja zu Berlin", merkte man: Hier ist einer ganz bei sich. Nur bei sich.

An dieser Stelle passt natürlich einzuwenden, dass der Sohn südafrikanischer Eltern mit irischen und indischen Wurzeln in der Schule in Mannheim wegen seiner dunklen Hautfarbe gehänselt und, wie er selbst schon häufiger protokollierte, "Nigger" genannt wurde. Das ist nicht schön. Das ist Aufwachsen in Hässlich-Deutschland. Und wenn so einer sich zu Deutschland bekennt und auf Zusammenhalt macht, dann ist das doppelt schwer, folgt einer Auseinandersetzung mit der Heimat und dem Gedanken, dass man nun mal nicht umhinkann, das eigene Land zu lieben, egal was einem widerfahren ist, weil man Teil eines Ganzen ist und zu einer besseren Welt beitragen möchte. Das ist eine echt gute Haltung. Mehr aber nicht. Und für einen Konzertabend unerheblich.

Nach eineinhalb Stunden war offiziell Schluss, dann gab es noch fünf Zugaben. Eines seiner besten Lieder fehlte. "Abschied nehmen". Angeblich hat er es 2002 für niemanden Spezielles geschrieben. Für keine Frau und nicht für Gott. Mehr davon.