In seinem neuen Buch “Das Gesetz“ widmet sich der amerikanische Bestsellerautor John Grisham erstmals der kurzen Form, den Stories.

Hamburg. Das neue Buch von John Grisham erschien vergangenes Jahr im Original, dort heißt es "Ford County". Nach einem fiktiven Landstrich im Mississippi-Delta, gelegen im gleichnamigen US-Bundesstaat. Grisham ist dort aufgewachsen, er hat an der Mississippi State University studiert, er saß für die Demokraten einst im Repräsentantenhaus des Südstaates. Und er lebt dort teilweise immer noch mit seiner Familie. Für seinen Kurzgeschichten- und Novellenband, der heute in deutscher Sprache erscheint, hat der Bestsellerautor, dessen Gesamtauflage bei der unglaublichen Zahl von 250 Millionen verkaufter Bücher liegt, eine Stadt namens Clanton erfunden, aber wie der Landkreis Ford County, zu dem Clanton gehört, entspringen die Namen der Fantasie. Der ganze Rest, also der pralle Betrachtungsgegenstand und der lebenssatte Inhalt dieser sprachlichen Zeichen, ist so wahr, wie die Beschreibung eines Schriftstellers sein kann, der diese Gegend sein Zuhause nennt.

Eine Kleinstadt, geteilt in einen weißen Teil und einen schwarzen. Menschen, denen man unweigerlich irgendwann in seinem Leben einmal begegnet auf den Straßen eines überschaubaren Fleckens. Und mit jedem hat man mindestens einen gemeinsamen Bekannten. Es wird viel getratscht, man kennt die Schicksale der anderen, und leicht wird einer verstoßen aus der piefigen Gemeinschaft. Man weiß immer, wer im Gefängnis sitzt, und wenn einer einen Unfall baut und in der Großstadt im Krankenhaus liegt, dann schickt man schon einmal eine Delegation ins ferne Memphis, um Blut für den Ärmsten zu spenden. Aber die jungen Leute in Clanton sind arbeitslos, drogensüchtig und, nun ja, hinterwäldlerisch.

Als Jungs vom Land werden sie im Nachtklub von Memphis, den sie statt des Krankenhauses aufsuchen, sofort erkannt. Die Stripperinnen nehmen sie aus, sie geraten in eine Prügelei. Einer wird schwer verletzt, der andere landet in der Untersuchungshaft, der dritte kehrt ein Jahr nicht wieder und treibt sich herum. Nur dem, dem sie eigentlich helfen sollten, geht es bald wieder blendend, er wird zu Hause empfangen wie ein Held. Diese erste Story des Bandes heißt "Blutsbrüder", und das ist natürlich ironisch.

Grishams Gerichtsthriller spielen auch in New Orleans oder New York, immer wieder aber in Memphis, der nahe an Mississippi gelegenen Metropole mit der hohen Kriminalitätsrate. Sie ist fast so hoch wie die in Detroit.

Aber das liegt im mittleren Westen, Grishams Heimat ist der Süden. In seinem ersten Kurzgeschichtenband - der Verlag sagt, es sei sein bisher persönlichstes Buch - porträtiert er diesen Herkunftsort. Und deshalb ist der Titel des englischen Originals treffend, auf dem Cover ist eine Allee zu sehen, durch die Baumkronen scheint die Sonne. Eine schmerzhafte Idylle, die nichts ist als eine Täuschung. Der deutsche Verlag hat aus "Ford County" - in Kansas und Illinois gibt es wirklich Bezirke, die so heißen - "Das Gesetz" gemacht. Auf dem Cover ist eine Gefängniszelle zu sehen, in breiter Schrift stehen der Name des Autors und der Buchtitel auf diesem Einband. So fällt das gute Stück in jeder Bahnhofsbuchhandlung auf, Verwechslung ausgeschlossen.

Man muss nun nicht glauben, dass Grisham diesmal etwas ganz anderes macht, es geht wieder viel um Anwälte und Delinquenten. Alle sieben Geschichten sind spannend, darin ist Grisham ein Meister. Im amerikanischsten aller Literaturgenres, der Story, bringt dieser Schriftsteller seine Poetik zur Geltung. Sie beruht auf mehreren simplen Grundsätzen, deren wichtigster der einfache Erzählfaden ist, an dem er die Handlung entlangschlängelt. Es gibt keine ausufernden Reflexionen der Hauptfiguren, der Leser erfährt nicht, was sie denken. Bei Grisham gilt das Action-is-Character-Prinzip, die Figuren sind das, was sie tun. Wenn Inez Graney, die mit zweien ihrer Söhne auf dem Highway unterwegs ist zum dritten, nicht mehr macht, als hilflose Fragen nach den ausgebliebenen Geldüberweisungen der Brüder an den im Todestrakt sitzenden Mann zu stellen, dann sagt das alles über die Unbedingtheit von Mutterliebe. Inez fährt zur Hinrichtung des Sohns.

In den Stories berichtet ein genügsamer Erzähler; er tritt fast nicht in Erscheinung. Er reichert seine Geschichten mit mildem Spott an, diesmal nimmt sich Grisham der Welt der Jurisprudenz ausschließlich in böser Absicht an (der Fall des Winkeladvokaten, der sich auf die Seite der Reichen stellt) oder augenzwinkernd. In Ford County sind die Gerichtsfälle keine Polit- oder Wirtschaftskrimis. In Clanton balgt sich die Zunft um Scheidungen und Insolvenzen. Die Stories drehen sich eigentlich um Heim- und Rückkehr. Adrian Keane, der Spross einer Unternehmerfamilie, zieht nach vielen Jahren in New York und San Francisco wieder nach Clanton. Er sagt: "Vielleicht ist das so ein Südstaatending. Irgendwann kommen wir alle wieder nach Hause."

Er kommt, um zu sterben. Die Geschichte um diesen Tod ist im Jahre 1989 angesiedelt; das dämpft die Wucht etwas ab. Denn die Kleinstadthölle, in der ein Aids-Kranker wie ein Aussätziger behandelt und im schwarzen Teil der Stadt einquartiert wird, ist die schlechteste aller Welten. Die Kleinstadt erscheint hier als Schrumpfversion sozialen Zusammenlebens.

Grishams Krimis sind Selbstläufer, es wird der Ehrgeiz des von der Kritik oft verschmähten Vielschreibers sein, in einer klassischen Disziplin zu brillieren. Allerdings sind seine Stories letztlich wohl doch eher Novellen. Für diese Einordnung spricht die Länge der jeweiligen Erzählungen, sie beträgt 50 Seiten und mehr.

Man sollte nicht literaturwissenschaftlich beckmessern, sondern Grisham für seine einfache Kunst loben: Die Szene der Henkersmahlzeit, als Brüder und Mutter dem Todgeweihten beim Essen zusehen, ist groß.

Da geht sie hin, die Würde.

John Grisham: Das Gesetz. Stories. Deutsch von K. Dorn-Ruhl, B. Reiter und I. Walsh-Araya. Heyne, 383 Seiten, 19,99 Euro