Vor 50 Jahren traten die legendären Beatles erstmals in Hamburg auf, eine Konzertreihe im Indra erinnerte an die ersten Schritte der Band.

Hamburg. Die Reeperbahn sieht aus wie immer. Irgendwie trist, verlebt und mit dem Charme eines U-Bahn-Schachts. Von einem Beatles-Gefühl ist noch nichts zu spüren, trotz aller Medienberichte, die seit Monaten daran erinnern, dass eine Liverpooler Band an diesem Tag vor 50 Jahren ihren ersten Auftritt in Hamburg hatte.

Würden nicht ein paar private Veranstalter diesen Tag feierlich begehen, wäre dieses Jubiläum ein trauriges. Weil es im Grunde doch das größte Jubiläum ist, das diese Stadt in diesem Jahr zu feiern hat, weil Menschen aus Spanien, Schweden und Liverpool kommen, weil sogar die BBC da ist und filmt, aber trotzdem, am Ende einer kleinen, aber feinen Konzertreihe, ein Hamburger Musiker vor der Tür eines Nachtklubs steht und sagt: "Ich verstehe nicht, wie diese Stadt dieses Datum, diese Zeit nicht würdigen konnte. Ich gehe total auf in dieser Musik."

Begonnen hat alles am 17. August 1960. Viel besser wird es damals auf St. Pauli nicht ausgesehen haben, als John Lennon, Paul McCartney, George Harrison, Pete Best und Stuart Sutcliffe, frisch aus Liverpool eingetrudelt, ihr erstes Konzert im Indra gaben. Vor zwei Huren und einer Klofrau, wie die Legende erzählt. Nur eine von vielen Mythen, die sich um die Hamburg-Zeit der Beatles ranken, die aber heute zwischen Millerntor und Nobistor kaum nachspürbar sind. Immerhin: Aus einem Radio in der Frittenbude Lucullus wandern die Töne von "Penny Lane" auf die Davidstraße. Nutten sind noch keine zu sehen.

Weiter geht es zum Beatles-Platz, auf dem sich eine Handvoll Touristen gegenseitig fotografiert. Sie zucken nicht einmal zusammen, als die Häuserzeilen gegenüber die ersten Takte von "Can't Buy Me Love" und anschließend "Hey Bulldog" zurückwerfen - eine Erinnerung an den legendären Auftritt der Fab Four 1969 auf dem Apple-Gebäude in London.

Und dann, 150 Meter weiter, im Indra, ist man endlich angekommen. Hier, im kleinen Konzertklub auf der Großen Freiheit, wird das Beatles-Jubiläum mit vier Konzerten begangen. Bambi Kino spielen, ihren Namen hat die Band vom ersten Schlafplatz der Beatles auf dem Kiez. Vor einem Jahr war Ira Elliot, Beatles-Enthusiast und Schlagzeuger der New Yorker Indierocker Nada Surf zu Besuch auf St. Pauli und fragte im Indra nach besonderen Aktionen zum anstehenden Jubiläum. "Aber keiner hatte die Idee, diesen Tag zu feiern. Das ist doch verrückt", erinnert er sich vor dem ersten Konzert.

Sofort trommelt er die befreundeten Musiker Mark Rozzo (Maplewood, Gitarre), Doug Gillard (Ex-Guided By Voices, Gitarre) und Erik Paparazzi (Cat Power, Bass) für das Projekt Bambi Kino zusammen, sichert sich vier Abende im Indra und studiert alle Songs ein, mit denen die frühen Beatles sechs Abende die Woche Schau gemacht haben. Auch die Instrumente und Verstärker sind fast alle alte Schule. Erik Paparazzi besorgte sich noch extra den legendären Höfner-Violinbass: "Eigentlich ist das Ding nicht ganz mein Geschmack, ich greife eher zu Gibson. Aber für diesen Anlass musste es ein Höfner sein."

Der erste Abend ist ausverkauft. Das Indra und seine 300 Besucher ächzen in der Hitze der Schweinwerfer-Batterien, welche die Fernsehsender für ihre Aufzeichnungen aufgebaut haben. Klaus Voormann und Astrid Kirchherr sind nicht gekommen, Ringo Starr und Paul McCartney natürlich auch nicht, aber Horst Fascher ist da. Fascher war früher Top-Ten-Boss und Star-Club-Mitgründer, nun mischt er sich unter eine bunte Menge Zeitzeugen von damals und jungen Beatles-Fans von heute.

Hamburgs Indie-Pop-Unikum Bernd Begemann erklärt die Zeit der Dorfmusik für beendet, dann legt Bambi Kino los. "Some Other Guy", "Lend Me Your Comb", "Red Sails In The Sunset", "Bésame Mucho" und "Mr. Moonlight" klingen zwar deutlich klarer, akzentuierter und harmonischer als Beatles-Liveaufnahmen aus dieser Zeit, aber die Hitze, die Lederjacken und der Biergeruch atmen trotzdem den Atem von damals. Fehlen nur noch die Halbstarken und die Rocker-Schläger.

"Ach, das ist auch alles nur Folklore", erzählt Kuno Dreysse, der die Beatles zwar nicht im Indra erlebte, aber im Kaiserkeller, Top Ten und natürlich im Star Club, den er 1969 sogar kurz übernahm. Er ist ein Urgestein der Hamburger Klubszene. "Es war nicht so, dass man jeden Abend Haue bekam, auch wenn es meistens recht rau zuging." Bambi Kino könnte für Dreysse jedenfalls noch räudiger klingen: "Die stimmen ja nach jedem Song die Gitarren, die Zeit hatten die Beatles damals nicht." Schließlich hieß es früher wie heute: "Mach Schau!" Und Bambi Kino macht Schau. Das Beatles-Gefühl ist da, es wird getanzt, geschwitzt und getrunken, man begeistert sich für kleinste Details wie die Übernahme des Gesangs von Drummer Ira Elliott bei "Boys". Ach. Ganz der Ringo. Immer wieder zeigt die Band bei den Ansagen auf einen Rock-'n'-Roll-Tänzer im Publikum: Otto Blunck, ein gepflegter Herr mit Schiffermütze, der seiner Frau in Cottbus per Uralt-Mobilfunk-Knochen Soundeindrücke aus dem Indra übermittelt. In den 60ern trieb er es wilder als heute, hörte die Beatles im Indra und Kaiserkeller und staubte mal von Paul McCartney eine Flasche Schaumwein für seine Tanzkünste ab. Jetzt wird nur noch mit dem Fuß gewippt. Aber begeistert, wie er betont.

Immer mehr alte Nummern reihen sich hintereinander. Rock 'n' Roll, Country, Blues und Soul. "Slow Down", "Ain't She Sweet", "Till There Was You" - es sind kurze, kompakte und recht simple Kompositionen, schnell zu lernen und von zahlreichen Künstlern interpretiert. Coverversionen waren damals so populär wie heute. Gut 50 Songs füllen 160 Minuten, unterbrochen von zwei Pausen. Der Schweiß fließt, die Stimmen gehen langsam aus dem Leim. Stefanie Hempel, Musikerin und Beatles-Stadtführerin, und Bernd Begemann springen bei zwei besonders grob zu singenden Liedern ein, "Money" und "Rock 'n' Roll Music", wow, das klingt überzeugend. Auf "Twist & Shout" (bei dem schon Lennon seine Stimme ruinierte) wird verzichtet, dafür wird Lennons Frühkomposition "One After 909" (geschrieben 1957 und veröffentlicht auf "Let It Be" 1970) gespielt. Was für ein Glück.

Und: Grund genug, am Mittwoch wieder das Indra zu besuchen. Wieder 160 Minuten, wieder eine Wahnsinnsfahrt. "Ich habe keine Ahnung, wie die Beatles das damals durchgehalten haben", wundert sich Elliot. Seine Stimme ist jedenfalls nach nur einem gesungenen Song hinüber, "Boys" fliegt beim zweiten Konzertabend von der ansonsten nur leicht umgestellten Setliste. Die Beatles futterten damals angeblich Berge des Aufputschmittels Preludin, "aber den Wirkstoff bekommt man heute nur noch in Abführmitteln", wie Kuno Dreysse weiß, der auch wieder da ist. Nach dem leicht angebremsten Beginn nimmt der zweite Teil Fahrt auf, "Memphis, Tennessee" und "Long Tall Sally" rütteln am Fundament. Auch Bernd Begemann und Stefanie Hempel steigen wieder mit ein. Ein feiner Abend, ganz dem Anlass angemessen und eigentlich würdiger als ein Megakonzert in der sterilen O2 World.

Anschließend starrt Bernd Begemann vor der Tür nachdenklich in die Nacht und sagt diesen Satz, den man gerne zweimal schreibt: "Ich verstehe nicht, wie diese Stadt dieses Datum, diese Zeit nicht würdigen konnte." Er ist nicht der Einzige. Das Indra rockt zu "I Saw Her Standing There", und die Band geht nach dem zweiten Konzert am Stock. "Ich muss ins Bett", stöhnt ein Gentleman, eine Lady präsentiert ihren beim Tanzen abgebrochenen Schuhabsatz. Dann leert sich das Indra. Die Seitenstraßen ebenso. Ricky Nelson, die Beatles und Bambi Kino würden in diesem Moment Baker Knights "Lonesome Town" singen. Einsam geht es nach Hause, doch tatsächlich weht der Geist der Fab Four durch die Freiheit. It's been a hard day's night.