Die Inszenierung der Oper “Lulu“ bei den Salzburger Festspielen ist selbst durch Daniel Richters offensive Malkunst nicht wirklich zu retten.

Salzburg. Die Geschichte der bildenden Künstler auf der Theaterbühne ist lang und nicht unproblematisch. Mangels anderer interessanter Ansätze haben jetzt die Salzburger Festspiele in zwei von vier Opernpremieren ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Mit dem genialen Dilettanten Jonathan Meese, der vorher noch nicht einmal wusste, was ein Libretto ist, hat es bei Wolfgang Rihms "Dionysos" funktioniert. Meeses kindlich aufgeblasene Krakeleien haben der Uraufführung jene Leichtigkeit gegeben, die der Komponist nicht (ganz) erreicht hat.

Daniel Richter, Hamburgs prominentester Berliner Kulturflüchtling, der vor zwei Jahren an der Salzach ein Bartók-Projekt veredelt und eigentlich gerettet hat, ist da freilich reflektierter - und dominanter. Nachdem Nikolaus Harnoncourt sich doch zu alt für seinen Lebenstraum "Lulu" fühlte, wurde der Maler eingekauft, um die Produktion der Alban-Berg-Oper mit Marc Albrecht am Pult und Vera Nemirova als Regisseurin aufzupeppen.

Das ist nicht wirklich geglückt. Die Operninszenierung bleibt fade und ohne These. Aber man kann während vier lähmend langer Spielstunden wunderbar über Daniel Richters malerischen Anteil an der einschläfernden Monstretragödie nach Frank Wedekinds einst skandalmachendem Doppeldrama spekulieren. Man kann mutmaßen, wie sehr Richters optische Dominanz an der für dieses Stück skandalös ungeeigneten Spielstätte Felsenreitschule eine Musiktheaterinterpretation erschwert, oder gar konterkariert. Oder man kann sich einfach an dem gewaltigen Farbenrausch delektieren, der sich auf 48 Metern über die gesamte Bühnenbreite spannt. Und das gleich dreimal.

Es beginnt mit einem Vorhang aus kräftig kontrastiven Streifen, die aussehen wie eine Tüte des Modeschöpfers Paul Smith. Dann folgt, vor schwarzem Hintergrund und verhältnismäßig klein, so acht mal vier Meter, jenes als Symbol so wichtige Bild, das der namenlose Maler (metallisch hell tönend: Pavol Breslik) von seiner Geliebten geschaffen hat: Lulu als dreiviertel auf dem Bauch Liegende, mit farbverlaufendem, wie weinendem Gesicht und ebenfalls schmierigem Haar, in Blau-Grün, Gelb und Rot.

Am Ende des ersten Aktes - Lulu, das eigentlich namenlose Wesen ohne Vorgeschichte und Bestimmung, hat schon zwei tote Männer hinter sich und eben den dritten geheiratet - fällt ein Riesenvorhang von oben herab. Er zeigt fratzenhafte, wie mit der Spraydose konturierte Neongesichter, die Lulus Schicksal begaffen. Dazu krabbeln aus einer schwarzen Pyramide, die später ein diamantglitzerndes Skelett à la Damien Hirst ziert, alle jene, die sich in Lulus Wohnzimmer vor ihrem dritten Mann, dem Doktor Schön, verstecken. Das sind viele. Samt Statisten wirkten sie zu ihren Füßen wie eine Lavamasse erstarrter Leiber.

Die dritte, ebenfalls von einer kleinen Richter-Vorlage recycelte Richter-Bühnenfindung offenbart sich dann im letzten, dem London-Soho-Bild, wo sich Lulus Hurenschicksal unter dem Messer Jack the Rippers vollendet. Lulu verrichtet ihr Geschäft freilich in der zur Schutzhütte umgekippten Pyramide vor einer monströsen Winterlandschaft in den Bergen. Seltsam, dass den Weg hierher so viele gut gekleidete Freier finden. Ihr großes Bild ist jetzt nur noch eine kleine Fotokopie, die vielfach dupliziert geküsst und zerrissen wird.

Vor diesen, alles dominierenden Richter-Kompositionen schrumpfen alle Figuren zu Zwergen. Sie interessieren nicht wirklich, auch weil die Regisseurin Vera Nemirova so wenig zu "Lulu" zu sagen weiß. Deshalb hat sie sich offenbar auf einen Standardtrick ihres Lehrmeisters Peter Konwitschny besonnen: Nach der zweiten Pause gibt es einen kleinen Stilbruch, und das weitgehend überflüssige Paris-Bild des rekonstruierten, weil von Berg nicht mehr vollendeten dritten Aktes spielt in den Zuschauerreihen. Eine imaginäre, spekulationswütige Kunst-Society prostet der echten zu. Sogar Komponist Wolfgang Rihm muss als Zaungast mit Sektglas unfreiwillig warten, bis sein Platz wieder frei ist. So viel Trubel weckt immerhin das sedierte Publikum auf; am Ende gibt es freundlichen Applaus.

Lulu, Weibsteufel, Projektionsfläche von Männer- wie Frauengelüsten. Das - und nicht mehr als sonst - zeigt Nemirova. Also muss Patricia Petibon den Abend allein tragen. Sie tut das in schlechtem Deutsch und verhärteter Höhe als rothaariger Clown und dauerplappernder Kleiderständer. Sie hat keinen Sex und wenig Automatencharisma. So stackst diese geheimnislose Lulu auf roten Schuhen ihrer verlorenen Erotik hinterher.

Michael Volle ist ein kraftvoller Schön, Thomas Piffka ein leicht unterbelichteter Alwa, Franz Grundhebers grummeliger Schigolch, Thomas Johannes Mayer ein schmieriger Athlet und Tanja Ariane Baumgartner eine charakterlich blasse Gräfin Geschwitz - sie alle umschwirren wie Motten das Lulu-Licht und dürfen doch nicht leuchten.

Was man kaum dem wackeren Marc Albrecht am Pult vorwerfen mag. In dem weitschweifigen Ambiente verschwimmen alle zarten Instrumentierungsdetails. Und sogar die Wiener Philharmoniker, die von jeher den rechten, morbid-eleganten Berg-Sound inhaliert haben, klingen hier nur wie eine schöne Nebensache. Sie liefern den Sound zur Richter-Schau.