Mit “The Suburbs“ ist dem kanadischen Musikerkollektiv Arcade Fire erneut ein großer Wurf gelungen. Das Album besticht durch seine Vielfalt.

Nordamerikanische Vororte, englisch "suburbs", sind langweilig. Ein Haus reiht sich an das andere, die Rasen in den Vorgärten sind so kurz, als wären sie mit der Nagelschere geschnitten, die Viertel wirken uniform und adrett. Vororte sehen in Denver genauso aus wie in Toronto oder in Houston. Doch Vororte bergen auch Erinnerungen. An die erste Freundin, der man den Ranzen zur Schule getragen hat, an das nahe gelegene Waldstück, in dem man in kindliche Fantasiewelten eingetaucht ist und mit dem Holzschwert gegen böse Monster gekämpft hat. Kehrt man als Erwachsener nach Jahrzehnten an diese Orte zurück, haben sie sich oft so verändert, dass eine Wiedererkennung schwerfällt. Arcade Fire, das in Montreal lebende Musikerkollektiv, hat die Vorstädte zum Thema seines dritten Albums "The Suburbs" gemacht.

Die Idee zu "The Suburbs" kam Sänger Win Butler, als er den Brief und ein Foto eines Schulfreundes erhielt, das diesen vor einem Einkaufszentrum in Woodsland, einem Vorort von Houston, zeigt. Butler und sein Bruder Will sind dort aufgewachsen. Butler fühlte sich durch das Bild in seine Jugend zurückkatapultiert und schrieb den Song "The Suburbs".

Von diesem Punkt aus begannen Butler und die Bandmitglieder ihre musikalische Erinnerungsarbeit, die annähernd zwei Jahre dauerte, bis das Album fertig gemischt und gemastert war.

Auch wenn immer wieder ähnliche Motive auftauchen und sich viele der Texte um Orte, Aufbruch und Rückbesinnung drehen, ist "The Suburbs" kein Konzeptalbum im engeren Sinne geworden. Assoziativ erinnern sich die Mitglieder von Arcade Fire an vergangene Erlebnisse, sie träumen sich zurück in die Kindheit, ohne dass konkrete Geschichten erzählt würden.

Musikalisch ist "The Suburbs" ein großer Wurf geworden, weil die Band ganz unterschiedliche Stile benutzt und einen Klangkosmos entwirft, dessen verschiedene Facetten sich auch nach häufigem Hören nicht erschöpfen.

Der Titelsong ist großer Pop ohne Pathos und mit einer beschwingten Leichtigkeit, "Empty Room" kracht los wie der Noise-Rock von Sonic Youth, sodass Régine Chassagne und Sarah Neufel es schwer haben, sich mit ihren Stimmen gegen diese Wucht durchzusetzen. "We Used To Wait" setzt mit einem stakkatohaften Klavier ein, "Sprawl I" dagegen mit sanftem Gesang und zart angeschlagener E-Gitarre.

Arcade Fire benutzt Cembalo, Orgel und Streicher, vertrackte Rhythmen kontrastieren mit geraden, schweren Beats. Mal klingt die Band wie eine Punk-Combo, mal wie ein romantisches Kammermusikensemble. Die Komplexität und der stilistische Abwechslungsreichtum waren immer das größte Pfund, mit dem Arcade Fire schon auf ihren Vorgängeralben "Funeral" und "The Neon Bible" wuchern konnte.

Jetzt ist ihr zum dritten Mal ein starkes Album gelungen, mit dem die Kanadier sich so wohltuend von all den britischen und amerikanischen Gitarrenbands abheben, die im vergangenen Jahrzehnt den Rockzirkus beherrscht haben. Gleichzeitig ist "The Suburbs" der Beweis, dass Vorstädte, so eintönig sie auch sein mögen, sehr inspirierend sein können. Zumindest wenn sich Klangarchitekten wie Arcade Fire damit beschäftigen.

Arcade Fire: The Suburbs (City Slang)