Der Brite singt Songs von Bowie, Arcade Fire und Paul Simon zu Orchesterbegleitung - und mit mächtigem Willen zur Entschleunigung.

Hamburg. Ist es die uneingestandene Sehnsucht nach Anerkennung in den Sphären der Hochkultur, die etablierte Popstars Zuflucht bei klassischen Musikern suchen lässt?

Für gewöhnlich holen sie sich dort eher eine blutige Nase; Stings Dowland-Adaptionen zeigten mehr als alles andere die Grenzen seiner Stimme und Gestaltungskraft. Elvis Costellos mit einem Streichquartett aufgenommene Shakespeare-Hommage "Juliet Letters" klang wie eine Fleißarbeit fürs Konservatorium. Nun veröffentlicht Peter Gabriel (60) eine ausgesprochen eklektische Sammlung von Coverversionen englischer und amerikanischer Popsongs zu Orchesterbegleitung. "Scratch My Back" heißt die Platte, auf deren Hülle sich zwei blutrote, stilisierte Blütenblätter zu liebkosen scheinen (Realworld/EMI).

Keine Gitarren, kein Schlagzeug: So beschreibt Gabriel selbst ex negativo die Sound-Zutaten seines ersten Albums seit acht Jahren. Auch keine Computer, möchte man hinzufügen, keine Keyboards mit Ausnahme des Flügels, keine Stammesgesänge, überhaupt nichts Exotisches jenseits der Klangwelt der abendländischen Orchestertradition. Gabriel, der große Freund musikalischer Weltkulturen, zieht sich in dem, was man sein erstes Alterswerk nennen könnte, zurück auf etwas, das zugleich heimische Scholle ist und Neuland.

Geigen, Celli, Hörner, Trompeten, eine einsame Klarinette, und immer wieder das Klavier: Sie sind das seltsam fremde, seltsam vertraute Klangbett für Gabriels Stimme, die einem mit ihrer unvergleichlichen Intimität nahekommen kann wie kaum eine sonst. Seit seinem Ausstieg bei Genesis 1975 setzte Gabriel seine Stimme - Marke verlassenes Robbenbaby - gern avanciertesten Klängen aus. Gerade in solchen mit Akribie und Leidenschaft selbst entfachten Fegefeuern elektronischer Klangwälle behauptete sie sich wie ein unauslöschliches Flämmchen der Humanität.

Jetzt gibt es ein ganzes Album lang Feuerzeugstimmung. So wie sonst nur, wenn Peter Gabriel im Konzert allein am Klavier als letzte Zugabe "Here Comes The Flood" singt. Wer diese Stimme mit dem sanft raunenden Timbre und den manchmal falsettierten Brunft- und Sehnsuchtsschreien liebt, kann sie jetzt nur noch mehr lieben. Wer sie immer schon tendenziell zu weinerlich fand, wird sie noch mehr hassen.

Gabriel wählte Songs von David Bowie und Arcade Fire, Paul Simon und Bon Iver, den Talking Heads, Neil Young, Regina Spektor oder Randy Newman aus. All seinen Interpretationen gemeinsam ist ein schier übermächtiger Wille zur Entschleunigung. So viel Langsamkeit war bei ihm nie, dafür auch nie so viel Tiefe.

Die für ein Kammerensemble geschriebenen Arrangements des Pop-Orchestrators John Metcalfe erinnern mal an Steve Reich, mal an Arvo Pärt, mal an Thomas Newman. Sie schieben sich vor die Originale wie der Mond bei einer Sonnenfinsternis vor die Sonne und bringen so eine existenzielle Dunkelheit ans Licht. Vor allem aber ist es Peter Gabriel selbst, das Sonnenkraftwerk der populären Musik, der uns auf diesem Album seine berückend schöne Nachtseite zeigt.