Eine Dresdner Ausstellung feiert das Tempelmodell aus dem Museum für Hamburgische Geschichte - das in der Hansestadt bisher kaum jemand kennt.

Hamburg/Dresden. Vor genau 100 Jahren gelang dem Hamburger Altertumsverein ein spektakulärer Ankauf: 1910 erwarben die hanseatischen Geschichtsfreunde in Dresden das hölzerne Modell des Salomonischen Tempels. Es war eine späte Rückkehr, denn das detailreiche und äußerst kunstvoll gefertigte dreidimensionale Abbild des legendären Jerusalemer Tempels stammte ursprünglich aus Hamburg. Ende des 17. Jahrhunderts hatten es namentlich nicht bekannte Kunsthandwerker im Auftrag des Hamburger Ratsherrn Gerhard Schott (1641-1702) aus Eichen- und Tannenholz, Birnbaum, Birkenrinde, Blei und Silberdraht hergestellt und sich dabei weitgehend an die berühmte Tempelrekonstruktion des spanischen Jesuiten Juan Bautista Villalpando gehalten, die dieser 1605 in einem reich mit Kupferstichen ausgestatteten Werk veröffentlicht hatte.

Lange ist's her. Nun aber geht die Tempelmodell-Geschichte zwischen Hamburg und Dresden in ein neues Kapitel: Seit einigen Tagen bildet das hoch bedeutende, in Hamburg aber kaum bekannte Architekturmodell den Ausgangspunkt einer Ausstellung, die im Dresdner Zwinger und im Grünen Gewölbe gezeigt wird, dort aber ohne das Original auskommen muss. Denn dieses befindet sich im Museum für Hamburgische Geschichte und kann aus konservatorischen Gründen grundsätzlich nicht ausgeliehen werden.

"Fragmente der Erinnerung. Der Tempel Salomonis im Dresdner Zwinger" heißt die Ausstellung, die mit einer digitalen und holografischen Rekonstruktion das Hamburger Prunkstück den Besuchern so präsentiert, wie es ein Jahrhundert lang im Dresdner Zwinger zu erleben war, zugleich aber die spannende Geschichte des wohl bedeutendsten Architekturmodells der Barockzeit nachzeichnet. Während es im Wallpavillon des Zwingers um die historische Situation geht, sind im Neuen Grünen Gewölbe im Dresdner Schloss historische Artefakte zu sehen, darunter Fragmente des Tempelmodells als Leihgaben des Museums für Hamburgische Geschichte.

Spätestens seit 1694 war das hölzerne Kunstwerk, das sich auf einer Grundfläche von 3,45 mal 3,45 Metern erhebt, auf dem Gelände des Opernhauses am Gänsemarkt öffentlich zu sehen. Es galt als eine der wichtigsten Hamburger Sehenswürdigkeiten. Berühmtheiten wie Zar Peter der Große und wahrscheinlich auch der sächsische Kurfürst August der Starke haben es hier mit begehrlichen Blicken betrachtet. Jahre nach dem Tod seines Besitzers verkaufte dessen Erbe das Prunkstück 1724 nach London, wo es im Opernhaus am Haymarket besichtigt werden konnte.

1732 gelang es August dem Starken, das Modell für Dresden zu sichern. Aber viel Freude sollte er nicht mehr daran finden: Am 10. Januar 1733 traf die Tempelnachbildung in der sächsischen Residenz ein, am selben Tag verließ August Dresden, um nach Warschau aufzubrechen, wo er am 1. Februar starb. Sein Sohn und Nachfolger August III. ließ das Modell 1734 im Wallpavillon des Zwingers aufstellen, wo es zusammen mit einer Nachbildung der Stiftshütte, jüdischen Ritualgegenständen und der Rekonstruktion einer Synagoge das Juden-Cabinett bildete. "Nach heutigem Kenntnisstand scheint es keine gewagte These zu sein, das Juden-Cabinett mit dem Salomonischen Tempelmodell als das erste, einer breiten Öffentlichkeit zugängliche jüdische Museum der Welt zu bezeichnen", schreibt der Dresdner Ausstellungskurator Michael Korey im Katalog. Merkwürdig: Zu einer Zeit, in der Juden in Dresden keine Synagogen bauen durften, gab es an einem der prominentesten Plätze der Residenz des protestantischen Landes mit katholischem Herrscher ein jüdisches Museum, das Bildungsreisende aus ganz Deutschland und halb Europa faszinierte.

Stadtbeschreibungen und Reiseführer würdigten das Tempelmodell als erstrangige Sehenswürdigkeit und schwärmten von seinem kunstvollen Detailreichtum. So wird zum Beispiel berichtet, dass ein Kügelchen beim Herunterrollen auf einer im Inneren des Modells eingebauten Wendeltreppe jede einzelne Stufe hörbar machte. 1813 schrieb ein russischer Offizier, der nach dem Einmarsch der zaristischen Truppen den Zwinger besichtigt hatte: "Falls irgendwann einmal ein Sturm widrigster Zufälle dieses ganze Volk ausrotten würde, so könnte man hier alle seine Bräuche und Gesetze finden."

Etwa 100 Jahre hatte das Juden-Cabinett im Zwinger Bestand, dann verloren die Museumsverwalter das Interesse daran. In den 1830er-Jahren löste man die jüdische Sammlung auf. 1843 wurde das Modell für den Spottpreis von 43 Talern an die Dresdner Kreuzkirche verkauft, die es zunächst in ihrer Bibliothek aufstellte und später an den Königlich-Sächsischen Verein zur Erforschung und Erhaltung vaterländischer Altertümer verschenkte. Dieser führte es in seinem Archiv zeitweise als "Tempelmodell ohne Wert", verkaufte es dann aber für 2270 Goldmark nach Hamburg. Der Preis entspricht der heutigen Kaufkraft von etwa 11 735 Euro - für eines der größten kunsthandwerklichen Meisterwerke der Barockzeit ein Schnäppchen.

Vielleicht verschafft die aufwendige Dresdner Ausstellung dem Tempelmodell, das im Museum für Hamburgische Geschichte eher schlecht als recht präsentiert wird und nur selten Besucher anlockt, nun endlich jene Aufmerksamkeit, die dieses großartige barocke Miniaturwunderland eigentlich verdient.

Fragmente der Erinnerung. Der Tempel Salomonis im Dresdner Zwinger bis 5. September im Wallpavillon (Zwinger) und im Neuen Grünen Gewölbe (Dresdner Residenzschloss) Mi-Mo 10-18 Uhr. Das Original ist im Museum für Hamburgische Geschichte (Holstenwall 24) Di-Sa 10-17, So bis 18 Uhr zu sehen.