Heute vor 150 Jahren wurde der Komponist Gustav Mahler geboren, der in seiner Amtszeit als Kapellmeister in Hamburg Maßstäbe setzte.

Hamburg. Verglichen mit den mehr als vier Jahrzehnten, die der Barock-Star Telemann in Hamburg verbrachte, sind die sechs Mahler-Jahre eher eine Petitesse. Doch sie waren prägend, für das Musikleben der Hansestadt ebenso wie für den jungen Kapellmeister und Komponisten. Zwischen 1891 und 1897 brachte der arbeitswütige und perfektionistische Gustav Mahler das Orchester des Stadt-Theaters an der Dammtorstraße wechselweise zur Weißglut oder spornte es zu Höchstleistungen an. Meistens beides zur gleichen Zeit.

Ganz und gar fürchterlich kann es hier aber auch nicht gewesen sein, denn nur in Wien - auf seinem Chefposten an der Staatsoper - blieb Mahler länger als an der Elbe. Entdeckt hatte ihn der Theatermonopolist Bernhard Pollini in Leipzig, engagiert in Budapest. Mahler war genialisch begabt und ehrgeizig. Genau das Richtige für Pollinis Hamburger Opernhaus, das seinem Publikum immer wieder neue Stars und Sensationen bieten sollte. Nicht nur die Oper, auch der Rest der Stadt hatte es damals nicht immer leicht mit Mahler. Die Hamburger waren für ihn mal "antimusikalisch" und mal gleich ganz "gehörlos", die Presse revanchierte sich nur zu gern: Mahler sei ein "Beethovenketzer", ein "Verunstalter und Verunreiniger der heiligen deutschen Sinfoniekunst", giftete einer zurück.

Die Uraufführung seiner überarbeiteten Ersten Sinfonie im Herbst 1893 stieß bei der Kritik auf vorwiegend verständnislose Ohren. Beim "Correspondent"-Rezensenten revanchierte sich Mahler mit der aparten Beurteilung, er sei eine Mensch gewordene Drüsenkrankheit. Von der Altistin Ernestine Schumann-Heink ist die Beobachtung überliefert, Mahler sei der liebenswerteste Mensch, den man sich vorstellen könne. "Außer beim Dirigieren. Sobald er den Taktstock in den Händen hielt, wurde er zum Despoten." Tschaikowsky wiederum war da nach einem Dirigat seiner Oper "Eugen Onegin" viel positiverer Meinung: "Der hiesige Dirigent ist übrigens kein Durchschnitt, sondern ein Mann von Genie."

Das Arbeitspensum dieses Genies war brutal. Nicht weniger als 14 Premieren pro Saison (heutiger Staatsopern-Stand: fünf), die meisten von ihm selbst dirigiert, dazu kamen die entsprechenden Proben-Mengen. Und Mahler probte wirklich sehr gern. Eine einzige "Walküre"-Inszenierung kam so auf stolze 80 Probentermine. In der Saison 1895/96 stand Mahler an 147 von 212 Abenden im Graben, er dirigierte 29 Stücke. Als Mahler Hamburg 1897 verließ, hatte er in sechs Spielzeiten 715 Vorstellungen dirigiert. Zwischendurch fand er immer noch die Zeit, um sich mit seinem Chef anzulegen oder sich - vergeblich - um die Leitung der Philharmonischen Konzerte zu bewerben.

Ging Mahler Pollini zu sehr auf die Nerven, verpasste der ihm Strafdirigate ungeliebter Opern oder setzte ihm einen minderbegabten Konkurrenten vor die Nase. Pollini wollte schnell ordentlich Kasse machen, ihn juckte es deswegen auch nicht, wenn Kulissen für eine Oper auch in einer ganz anderen herumstanden; doch Mahler strebte nach kollektiver Qualität. Einen Teil seiner knapp bemessenen Freizeit nutzte Mahler, um die Musik, die aus ihm drängte, aufs Notenpapier zu bekommen. So entstanden die ersten seiner "Wunderhorn"-Lieder, doch für die größeren Werke waren längere Schaffenspausen vom Knochenjob am Stadt-Theater notwendig. Die gönnte sich Mahler während der dreimonatigen Theaterferien. Am Attersee im Salzkammergut, da konnte er gut komponieren. So entstanden die Zweite und Teile der Dritten Sinfonie.

Der Tod eines bewunderten Kollegen sollte dafür sorgen, dass Mahler zu einem seiner wegweisenden Frühwerke inspiriert wurde. Im Februar 1814 starb der Dirigent Hans von Bülow, und bei der gut einen Monat später abgehaltenen siebenstündigen Trauerfeier im Michel kam Mahler die Idee für das Finale seiner Zweiten, als ein Choral auf Klopstock-Worte erklang: "Aufersteh'n wirst du mein Staub nach kurzer Ruh'." Mahler eilte nach Hause und machte sich sofort an die Arbeit. Das Resultat war jenes finale "Aufersteh'n, ja aufersteh'n!", dem die "Auferstehungssinfonie" ihren Namen verdankt.

In unmittelbarer Nachbarschaft der Hamburger Hauptkirche, in St. Ansgar, dem "Kleinen Michel", ließ sich der Jude Mahler im Februar 1897 katholisch taufen. Dieser Seitenwechsel war vor allem Karriere-Taktik. In der Chefetage der Wiener Staatsoper, die als Intrigantenstadl bekannt war, konnte er nicht auch noch die antisemitischen Anfeindungen gebrauchen, für die Wien damals berüchtigt war. Am 24. April dirigierte Mahler seine Abschiedsvorstellung in Hamburg, Beethoven, "Eroica" und "Fidelio". Wenige Wochen später war er Chef in Wien, am Ziel seiner Träume, im Zentrum des europäischen Musiklebens. Am 18. Mai 1911 starb Gustav Mahler in Wien, das "Hamburger Fremdenblatt" kondolierte überschwänglich: "Als Dirigent ragte Mahler hoch empor. Er hat Mozart, Beethoven, Wagner dirigiert, aber es klang anders als sonst. Neu, plastisch entstand unter seinen Händen, was vordem unbegreiflich und unbegriffen war."