Regisseur Andres Veiel erzählt über das Leben von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper, bevor Ensslin in den Untergrund ging.

Hamburg. Als Andres Veiel vor zwei Jahren aus dem Kino kam, war er total erleichtert. Gerade hatte er "Der Baader Meinhof Komplex" gesehen. Von diesem Film hing für ihn eine Menge ab, denn Veiel arbeitete seit Jahren an einem Filmprojekt, in dem es auch um Gudrun Ensslin und Andreas Baader geht. Das führte beinahe zu einer existenziellen Konkurrenzsituation. Würde sein Film neben der Eichinger-Produktion bestehen können? Nachdem er den Film gesehen hatte, war sich Veiel sicher: er kann. Sein Ansatz ist anders. Er will mit seinen Protagonisten eine Geschichte aus der Zeit vor der RAF erzählen.

"Wer wenn nicht wir" handelt vom Leben Gudrun Ensslins und Bernward Vespers, bevor Ensslin in den terroristischen Untergrund ging. Verheiratet war sie damals mit Bernward Vesper. Der Sohn eines Nazi-Schriftstellers hatte unter seinem Vater zu leiden, den er im Buch "Die Reise" als gnadenlos gestrig und cholerisch beschrieben hat. Aber er mochte ihn auch, nicht zuletzt, weil der Vater ihn für einen begnadeten Autor hielt. Es war eine schwierige Mischung. Mit Gudrun Ensslin führte er eine leidenschaftliche Beziehung, war ihr aber untreu und wurde drogenabhängig. Sie gingen nach Berlin, um dort zu studieren, und wurden Eltern eines Sohnes. Rudi Dutschke machten sie zum Patenonkel. Nachdem Ensslin Andreas Baader kennengelernt hatte, verließ sie ihren Mann und gab den Sohn in eine Pflegefamilie. Vesper beging 1971 in der Psychiatrie des UKE Selbstmord, Ensslin und Baader bekämpften den Staat und starben in Stammheim.

Gut Wulfsdorf bei Ahrensburg. In einem schönen alten zum Naturkundemuseum umgestalteten Gebäude werden die letzten Szenen gedreht. Die Filmcrew kauert unter einem ausgestopften Schwan, der an dünnen Drähten von der Decke hängt. Gespannt blicken die Filmemacher auf den Monitor und sehen dort, wie Imogen Kogge die Haustür öffnet und suchend auf den Hof hinausblickt. Dort steht ein alter VW-Käfer - wir befinden uns im Jahr 1965. Nach der Szene sagt jemand: "Das war Imogens letzte Einstellung." Applaus, Umarmungen. Kogge spielt die Mutter von Bernward Vesper. "Diese Frau ist unglaublich", staunt sie. "Der Sohn kämpft darum, sein eigenes Leben, seine eigenen Ansichten zu finden. Sie aber ist nur Frau ihres Mannes, hilft Bernward nicht, bleibt starr und allein. Ihr einziges Motto lautet 'Haltung bewahren'."

Während der Mittagspause erläutert Andres Veiel seine Absichten. "Dies ist kein Film über die RAF, sondern über eine Generation, die von der deutschen Geschichte beschädigt ist und daraus sehr unterschiedliche Schlüsse zieht", erklärt der Regisseur. "Wir hören da auf, wo andere anfangen." Im Zentrum seines Films steht die Identitätssuche von Bernward Vesper, den August Diehl spielt. Newcomerin Lena Lauzemis ist als Gudrun Ensslin zu sehen, Alexander Fehling verkörpert Andreas Baader. Auch die Nebenrollen sind mit Susanne Lothar, Thomas Thieme und Rainer Bock hochkarätig besetzt.

Ensslin haderte ebenfalls mit dem Umgang ihrer Eltern mit der NS-Vergangenheit. Ihr Vater war Pfarrer und stand der bekennenden Kirche nahe. Als er in einer Predigt sagte: "Hitler mag groß sein, Gott ist größer", wurde er denunziert. Da ihm deswegen Haft drohte, meldete er sich an die russische Front. "Damit hatte Gudrun später ein Problem", sagt Veiel, dessen Drehbuch auf dem Buch "Vesper, Ensslin, Baader" von Gerd Koenen basiert. Sie habe ihrem Vater vorgeworfen: "Du hast immer alles nur halb gemacht."

Und dann taucht Andreas Baader in Ensslins Leben auf. "Obwohl sie ihren Sohn irrsinnig liebt, gibt sie ihn in eine Pflegefamilie. Dafür muss auf der anderen Seite schon ein großes Projekt stehen: die Weltrevolution", glaubt Veiel. Aber die lässt auf sich warten. Bernward und Gudrun trennen sich. Als sie und Baader schon wegen der Kaufhausbrandstiftung gesucht werden, besuchen sie noch einmal ihre Eltern im Pfarrhaus in Cannstatt. Natürlich gibt es politische Diskussionen. Der Vater sagt: "Du sehnst den Faschismus ja richtig herbei. Was ist, wenn er gar nicht kommt?" Sie antwortet: "Ich möchte mir nicht den Vorwurf machen lassen müssen, etwas erkannt und nichts gemacht zu haben."

"Wer wenn nicht wir" - der Titel ist ein Dutschke-Zitat - ist nach vielen preisgekrönten Dokumentarfilmen ("Blackbox BRD", "Die Spielwütigen") Veiels erster Spielfilm. Er freut sich über seine neuen Freiheiten und über die "zusätzlichen Räume", die die Darsteller mit ihrem Spiel geöffnet haben. Das hat ihn überrascht. "Ums Staunen geht es ja letztlich beim Filmemachen", sagt der 50-Jährige. "Eigentlich hatte ich das Gefühl zuletzt als Kind. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht nur so ist, wie man es glaubt, sondern dass es Dinge gibt, die weit darüber hinausgehen."

Das Thema kann nach der 20 Millionen Euro teuren Politmord-Produktion "Baader Meinhof Komplex" sicher noch neue Zwischentöne vertragen. Wenn Veiel sie trifft, kann er mit seinem Film vielleicht ans Tor der Berlinale klopfen. Erleichtert oder gespannt.