Unsere Lieblingsrezepte - empfohlen von Abendblatt-Lesern, zubereitet von Heinz Wehmann

Hamburg. Wer im Religionsunterricht aufgepasst hat, erinnert sich vielleicht, was der Begriff Pharisäer eigentlich bedeutet. Vor rund 2000 Jahren, als Jesus gelebt haben soll, waren die Pharisäer Vertreter eines bestimmten Zweiges des Judentums, Gläubige, die im täglichen Leben streng nach den jüdischen Gesetzen lebten. Sie lebten ihre Frömmigkeit offenbar etwas zu demonstrativ aus, denn andere Gläubige störten sich daran, und mit der Zeit entwickelte sich der Name zum Schimpfwort. Er bedeutete so viel wie Heuchler oder Scheinheiliger.

Was das mit diesem Heißgetränk zu tun hat? Ziemlich viel. Denn Religion und Scheinheiligkeit sind wichtige Zutaten der Geschichte, die man sich über die Entstehung dieser hochprozentigen Kaffeespezialität erzählt. Es ist typisch für Legenden, dass sie häufig und gerne erzählt werden. Und wie das bei mündlicher Überlieferung oft ist, schmückt der ein oder andere Erzähler einige Details aus oder lässt andere weg - wie bei dem Spiel "Stille Post": Was am Ende herauskommt, muss nicht mehr mit dem Anfang übereinstimmen.

Bauern auf der Insel Nordstrand haben sich als Erste dieser List bedient

Beim Pharisäer ist es möglicherweise genauso. Wie viel man von der Geschichte glauben möchte, kann jeder für sich entscheiden - das Getränk ist auf jeden Fall eine Sünde wert. Entstanden ist es wahrscheinlich auf der nordfriesischen Insel Nordstrand im 19. Jahrhundert. Der Pastor einer größeren Gemeinde hatte offenbar etwas gegen Alkohol. Ob er selbst besonders asketisch war oder generell den Genuss von Hochprozentigem nicht guthieß oder gar verbot, wie manche erzählen, ist unklar. Die Friesen haben sich jedenfalls darauf verständigt, nur Kaffee pur zu trinken, wenn dieser Pastor da war. Bei einer Taufe wollten sich die Gemeindemitglieder den Alkoholgenuss aber nicht nehmen lassen und bedienten sich daher einer List: Sie rührten einen Schuss Rum in ihren Kaffee und bedeckten das Mischgetränk in der hohen Tasse mit einer Sahnehaube, so dick, dass das verräterische Rumaroma in der Tasse blieb. Der Pastor bekam die alkoholfreie Variante.

Ob man ihm schließlich aus Versehen die falsche Tasse reichte oder er irgendwann stutzig wurde und selbst zur verdächtigen Tasse griff, ist unbekannt. Die norddeutsche Musikgruppe Godewind entschied sich in ihrem Lied über das Getränk für Letzteres: "He kiekt na links, he kiekt na rechts, em kümmt wat in de Sinn. De Kaffee von de Naberslüüd, mag ween, dor is war in. He grapscht de Tass vun de linke Siet und drinkt se hastig leer. He grapscht de Tass vun de rechte Siet un bölkt: "Oh, ihr Pharisäer!" Dieser entrüstete Ausspruch des Pastors war es, der dem Getränk seinen Namen gab.

Übrigens: Der Pharisäer wird nicht umgerührt. Wer sich dabei erwischen lässt, gibt eine Lokalrunde aus. Stilecht trinkt man den Kaffee durch die Sahne.