Am Sonnabend wird beim Record Store Day die Schallplatte gefeiert. Auch Hamburgs Vinyl-Läden fahren dazu tolle Aktionen auf.

Hamburg. Zu volle Fächer nerven. Eine Spannbreite vom Daumen zum Zeigefinger ist ideal. Dann lässt sich schnell ein Kasten mit Vinylschallplatten von vorn bis hinten durchblättern und sehen, was auf dem Cover geschrieben steht, ohne die Platte jedes Mal aus dem Fach ziehen zu müssen. Im Sekundentakt fliegen Fotos, Aufdrucke, Labelnamen vorbei. Das Gehirn muss blitzschnell erkennen, ob das Album bereits Eingang in die Sammlung zu Hause gefunden hat und ob es überhaupt einer genaueren Betrachtung wert ist. Der Besuch eines Plattenladens ist wie die Suche nach Gold, es geht um die "Nuggets", um seltene Fundstücke. Wenn die Finger auf der Suche nach dem Besonderen über die Coverrücken fliegen, liegt darin auch eine gewisse Gier. Und wenn tatsächlich ein Stück schwarzes Gold auftaucht, gilt es zu prüfen: Vorsichtig wird die Platte aus der inneren Schutzhülle genommen, zwischen Daumen und Mittelfinger gehalten und auf eventuelle Kratzer oder andere Beschädigungen abgesucht.

Bei Slam am Schulterblatt kontrolliert Verkäufer Hans-Joachim Bach den Zustand der teuren Exponate selber. Denn das Exemplar, das ich von Spooky Tooth' "Ceremony" aus dem Jahr 1969 gefunden habe, kostet 30 Euro und wird hinter der hohen Ladentheke verwahrt. Es kommen halt auch schon mal Langfinger in den Secondhandladen in der Schanze. Etwa 15.000 bis 20.000 Schallplatten und etwa 10.000 CDs sind in den Fächern aufgestellt, überwiegend aus den Genres Rock und Jazz. Viele Künstler haben eigene Fächer, sodass die Schwarzgoldsucher auch gezielt schürfen können. Grand Funk Railroad, eine US-Rockband aus den 1970er-Jahren, hat kein Fach. "Die haben wir bei 'Hard 'n' Heavy' einsortiert. Da müsstest du aber was finden", sagt Bach. Der Ton bei Slam ist kumpelig.

Tatsächlich finde ich "Survival" von Grand Funk Railroad, mein zweites Schnäppchen an diesem Tag. Nur mit dem Original von "Sticky Fingers" kann Hans-Joachim Bach im Moment nicht dienen, jenem Rolling-Stones-Album mit dem eingearbeiteten Reißverschluss auf dem Cover. "Gibt es nicht so häufig, kann man aber finden", sagt er.

+++ Was in Hamburg passiert +++

Nur ein paar 100 Meter weiter hat sich auf dem Schulterblatt ein weiterer Plattenladen etabliert, doch bei Zardoz ebenfalls Fehlanzeige für "Sticky Fingers". Das Geschäft hält hauptsächlich Secondhandware bereit, führt aber auch Neuheiten und ein Buchsortiment. "Wenn Paare in den Laden kommen, stöbern die Frauen meistens bei den Büchern und die Männer in den Plattenkisten", erzählt Betreiber André Sorgenfrei. Sein mittelgroßer Laden ist einer von etwa 30 kleinen und mittleren Plattenshops, die es in Hamburg noch gibt. "Vinyl läuft schon seit einer ganzen Zeit wieder gut", sagt Sorgenfrei. Auch viele junge Leute kommen, um besondere spezielle Editionen zu kaufen. Inzwischen verschenken viele Künstler mit ihren Vinylplatten Download-Codes für zusätzliche Songs; manchmal liegt den Alben sogar auch noch die CD bei.

Bei Michelle Records in der City am Gertrudenkirchhof ist schon im Schaufenster zu erkennen, dass hier vor allem aktuelle Musik verkauft wird. Die Cover der neuen Platten von Olli Schulz, Ed Sheeran, Lee Ranaldo und den Ärzten hängen im Schaufenster. "80 Prozent unseres Umsatzes machen wir mit Neuware, mehr als 50 Prozent davon mit Vinyl", sagt Christoph Jessen, der den durch seine Schaufensterkonzerte bekannt gewordenen Laden führt.

"Sie sind meine letzte Rettung!" Eine grauhaarige Seniorin kommt an den Verkaufstresen und zeigt Jessen einen zerknitterten Zeitungsausschnitt mit einer Rezension von Terranova. Jessen kann helfen und holt ihr die aktuelle CD des Berliner Nu-Jazz-Kollektivs. An den Wänden hängen mit Autogrammen verzierte Tourplakate all der Bands, die hier schon auf der kleinen Bühne im Schaufenster gestanden und gespielt haben: Calexico, Kettcar, Nada Surf, Rifles, Jayhawks und Dutzende mehr.

+++ Tag für die Schallplatte: Record Store Day – auch in Hamburg +++

Michelle Records erinnert mit all seinen Postern, den sorgfältig in Orange beschrifteten Fächern an den Plattenladen, den Nick Hornby in seinem Roman "High Fidelity" beschreibt. Ähnlich wie Hornbys Hauptfigur ist auch Jessen ein Plattenverkäufer, der jeden Tag mit Herzblut seinen Laden aufschließt, ohne dass er über seine Musikbegeisterung zum Nerd geworden wäre wie Hornbys Figuren. "Die neue Chieftains habt ihr sicher nicht?", fragt ein älterer Mann. Kein Naserümpfen bei Jessen, obwohl Irish Folk nicht zu seiner Lieblingsmusik gehört. "Doch, haben wir bestellt. Kommt aber erst morgen raus. Soll ich ein Exemplar für dich zurücklegen?", antwortet er und schreibt die Telefonnummer von Thomas auf. Einen Nachnamen braucht er nicht. Thomas kauft schon seit den späten 70er-Jahren bei Michelle, "mindestens einmal im Monat", versichert er. Weil er schon mal da ist, nimmt er auch noch ein Exemplar einer Dr.-John-Platte mit, die gerade über die ladeneigene Anlage läuft.

Bei Pure Soul steht ein Plattenspieler zum Vorspielen und Anhören. Die Geschwindigkeit ist auf 45 Umdrehungen eingestellt, denn wer in den kleinen Laden in den Kohlhöfen 17 kommt, sucht nach Singles. Nicht nach irgendwelchen, sondern nach Originalen aus den 50er- bis 70er-Jahren. Mona, 31 Jahre alte DJane aus Hamburg, ist gerade fündig geworden: LaVern Bakers "Love Me Right" wechselt für zehn Euro den Besitzer. CDs gibt es bei Pure Soul nicht, dafür aber seltene Vinyl-Importe aus den USA. Bei der Suche nach "Sticky Fingers" ist der Laden jedoch keine Hilfe. Dafür bin ich jetzt Besitzer von "Doin' Our Thing" von Booker T. & The MGs. Originalausgabe von 1968. Und für 15 Euro ein Schnäppchen. Ein echtes Fundstück eben.