Stadt Hamburg steht im Zeichen des Buchs der der Literatur. Lesetage befassen sich mit Energiegewinnung. Ein Kompass für die kommenden Tage.

Hamburg. Am kommenden Montag ist der Tag des Buchs, und das sogar international. Wer allerdings nur zu diesem Anlass "zu einem guten Buch greift", wie Promis in Fragebögen und alle anderen in Poesiealben oder in ihr Facebook-Profil schreiben, der ist schlecht beraten. Lesen bildet, Lesen nimmt das Tempo raus, Lesen regt die Fantasie an. Lesen geht auch gemeinsam, oder genauer: sich vorlesen lassen. Und danach darüber reden, was der Autor denn damit wohl sagen will.

Das Kulturleben Hamburgs steht in den nächsten Tagen fest im Zeichen des Buchs: Da sind zum einen die Vattenfall Lesetage, die übermorgen beginnen und an acht Tagen mit 140 Autoren aus zwölf Ländern aufwarten. Unter anderem lesen an über die ganze Stadt verteilten Veranstaltungsorten die französische Chansonnette Patricia Kaas (aus ihrer Autobiografie "Mademoiselle singt den Blues"), das ehemalige Fotomodell Vera Gräfin von Lehndorff ("Veruschka"), der Politiker Heiner Geißler, der Schauspieler und Publizist Hanns Zischler und die Krimi-Autorin Andrea Maria Schenkel.

+++ Die Veranstaltungen der Lesetage +++

Kurzfristig abgesagt hat die literarische Skandalnudel der Saison, Christian Kracht; vielleicht ist ihm der Rummel um seinen äußerst unterhaltsamen, aber vielerlei (seltsamen) Verdächtigungen ausgesetzten Kolonialroman "Imperium" mittlerweile endgültig zu viel geworden.

Viel Diskussionsbedarf gibt es, und das ist gut so, um die Frage, mit welcher Form der Energiegewinnung unser westlicher Lebensstandard in Zukunft gewährleistet werden soll. Das ist die gesellschaftliche Komponente des Hamburger Lesefiebers: Zwei Lese-Festivals stellen ihre Veranstaltungen in den Dienst des Umweltschutzes. Sowohl "Lesen ohne Atomstrom" als auch "Lesetage selber machen - Vattenfall Tschüss sagen" finden in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal statt. Sie treten nachdrücklich für erneuerbare Energien ein, sie tun dies mit eigenen Programmen und illustren Gästen.

"Lesen ohne Atomstrom", das versuchen heute Abend der Kabarettist Henning Venske, der Stifter des Alternativen Nobelpreises, Jakob von Uexküll, und Schauspieler Christian Quadflieg im Thalia-Theater in der Gaußstraße (Beginn: 19 Uhr). Morgen beginnen dann die selbst gemachten Lesetage. Die "Vattenfall-Tschüss-Sager" lesen bis zum 27. April, unter ihnen viele Hamburger wie Sven Amtsberg, Konrad Lorenz, Frank Göhre und Tina Uebel. Die Lesungen verströmen den Geist der Stadtteilkultur und finden oft im kleinen, aber feinen Rahmen statt: zum Beispiel im Café Weiße Maus auf St. Pauli oder dem Kulturladen St. Georg.

Das Programm ist liebevoll gestaltet und beschäftigt sich mit den großen Themen unserer Zeit - zum Beispiel, wenn Cornelia Schramm und Monique Schwitter aus dem Roman "Der Reaktor" in einer szenischen Lesung vortragen und Ausschnitte aus dem Film "Unter Kontrolle" zeigen. Früher war das Bemühen um eine grünere Politik ein genuin linkes Unterfangen; das ist seit einiger Zeit anders, wie sich überhaupt die Umstände des Alternativ- oder Linksseins gewandelt haben. Und auch die des "linken" Büchermachens: Darüber diskutieren Else Laudan, Lutz Schulenburg und Gerd Siebecke in der Veranstaltung "Linke Verlage in Hamburg - was geht?".

Spartenprogramm, soziokulturelles Exerzierfeld für Local Heroes ? Vielleicht. "Lesetage selber machen" beginnt allerdings morgen Abend mit einem namhaften Autor, der zwar in Hamburg aufwuchs, aber seit vielen Jahren in Bayern lebt: Der Schriftsteller, DJ und Musiker Thomas Meinecke liest aus seinem aktuellen Buch "Lookalikes", anschließend legt er Musik auf.

Die Meinecke-Lesung dürfte einer der Höhepunkte der literarischen Festwoche in Hamburg sein, ganz gleich, ob man die unter energiepolitischen Gesichtspunkten sieht oder nicht. Auf den von Vattenfall gesponserten Lesetagen treten unter anderem auch Oskar Roehler, Andreas Altmann und die Schwestern Anna und Susanne Schädlich mit sehr persönlichen Büchern auf - sie sind alle lesenswert und versprechen intellektuell stimulierende Abende.

Angesichts so vieler Lesungen, möchte man meinen, herrscht an Elbe und Alster wahrscheinlich kein Mangel an literarischer Zerstreuung und Sammlung, am Glauben an die künstlerische und gesellschaftliche Kraft von Büchern. Allein bei den 14. Vattenfall Lesetagen, zu denen ein umfangreiches Kinder- und Jugendprogramm gehört, werden mehr als 12 000 Besucher erwartet. Werbung fürs Buch kann es dennoch nicht genug geben, weshalb am 23. April auf dem Rathausmarkt die Weltnacht des Buches stattfindet.

Veranstalter ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels: Er lässt viele bundesweit bekannte Autoren, Journalisten, Künstler und Sportler über ihre ersten Leseerfahrungen und Lieblingsbücher sprechen. Mit dabei sind unter anderem Moderator Ulrich Wickert, Nachrichtensprecher Tom Buhrow, die Bestsellerautoren Charlotte Roche und Heinz Strunk, der Schauspieler Gustav Peter Woehler, der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, die Schauspielerin Alexandra Kamp und der Manager des FC St. Pauli, Helmut Schulte.

Eingebettet ist das "Fest der Lesefreunde" (Veranstaltungstext) in eine deutschlandweit stattfindende Buchgeschenk-Aktion zum Welttag des Buches: 33 333 Buchfans verteilen an diesem Tag insgesamt eine Million Bücher. Das ist nicht wenig.

Thomas Meinecke

Thomas Meinecke, Jahrgang 1955, wurde mit der Undergroundband F.S.K. bekannt. Seit vielen Jahren schreibt er Bücher, die sich mit Popkultur beschäftigen. Aus dem aktuellen "Lookalikes" liest er am 18. April, 19 Uhr, im Uebel & Gefährlich.

Oskar Roehler

Er wurde als Filmemacher bekannt, seit 2011 ist er auch Autor: Oskar Roehler. In dem Buch "Herkunft" erzählt er von seinem Leben. Er ist der Sohn der Schriftsteller Gisela Elsner und Klaus Roehler – und liest am 20. April, 19 Uhr, in der Stabi.

Monique Schwitter

Die Schauspielerin und Autorin Monique Schwitter ("Goldfischgedächtnis") liest am 25. April, 20 Uhr, im Lichtmess-Kino zusammen mit Cornelia Schramm aus Elisabeth Filhols beim Hamburger Nautilus-Verlag erschienenen Roman "Der Reaktor".

Patricia Kaas

Die Lothringerin Patricia Kaas wurde als Chansonnette berühmt. Auf den Vattenfall-Lesetagen liest die 45-Jährige aus ihrer jetzt auf Deutsch erscheinenden Autobiografie "Mademoiselle singt den Blues": am 25. April, 20 Uhr, auf Kampnagel.