Bei dem Hamburger Kino-Festival geht es zum neunten Mal um Themen, die es selten auf die Leinwand schaffen - aber uns alle angehen.

Hamburg. Beobachtungen, Porträts, Pamphlete, Essays - die Darstellungsformen des Dokumentarfilms sind vielfältig, und seine Themen sind es erst recht. Trotzdem haben es Dokumentarfilme im Kino oft schwer, es sei denn, es geht um populäre Themen wie Tiere oder unsere Wegwerfgesellschaft. Doch natürlich gibt es darüber hinaus noch zahllose weitere Themen - um die geht es bei der Hamburger Dokumentarfilmwoche. Bereits zum neunten Mal trägt die Reihe zusammen, was den Veranstaltern auf internationalen Festivals oder abseits der Fernsehsender aufgefallen ist.

Im Wettbewerb "direkt" laufen fünf Filme, die langjährige Sehgewohnheiten ebenso hinterfragen wie die dargestellten Inhalte. So untersucht Michael Palm in "Low Definition Control - Malfunctions #0" die Auswirkungen von Überwachung und Kontrolle des Menschen nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Raum. Eine Überwachung, die jeden betrifft und mit der fast jeder schon Erfahrung gemacht hat: Kameras an Straßenecken und Plätzen, aber auch an Eingängen und in U-Bahnen, das automatische Erkennen von Gesichtern, Ortung von Menschen und ihre Verfolgung, bildhafte Darstellung durch Ultraschall. Dabei geht es auch darum, was die Politiker wollen und entscheiden, wie sie das Thema "Sicherheit" für ihre Zwecke instrumentalisieren und dabei manchmal sogar Gegenmeinungen unterdrücken. Denn wenn Kontrolle aus Misstrauen geschieht, ist plötzlich jeder verdächtig. Palm hat im strengen Schwarz-Weiß gedreht - so wie sechs andere Kollegen im Programm. Ein auffälliger Trend: Nichts soll ablenken vom Thema, allein die Idee steht im Vordergrund.

In "Qu'ils reposent en révolte" ("Dass sie im Aufstand ruhen"), ebenfalls in Schwarz-Weiß gedreht, berichtet Sylvain George über afrikanische und westasiatische Flüchtlinge, die es bereits quer durch Europa, zumeist über Griechenland und Italien, bis nach Calais geschafft haben. Doch es soll noch weitergehen, über den Kanal hinweg, nach London. Ihre Pässe haben sie bereits weggeworfen, um ihre Identität zu verschleiern. Doch es bleiben die Fingerkuppen für Abdrücke - nur durch Verletzungen lassen sich diese Spuren ausradieren. Sylvain George schaut nur zu und fängt Impressionen ein: Jugendliche, die im Hafen schwimmen, Polizisten, die Ausländer jagen und festnehmen, Männer, die sich unter Lastwagen verstecken. Kein Off-Kommentar, der etwas erklärt - man muss sich auf die Bilder einlassen.

In der Sektion "Horizont", die fremde Orte, Kulturen und Mentalitäten thematisiert, läuft Nicolas Steiners "Kampf der Königinnen". Sie heißen Dominga oder Shakira und sind waschechte Kühe, die sich wie Sumoringer zurückdrängen. Handlungsort ist das Wallis, Beteiligte sind - neben den stolzen Kuhbesitzern - eine Mopedgang aus dem Kuhkaff nebenan, die sich weniger für die Rindviecher als für die attraktive Züchterin namens Deborah interessiert, und ein Reporter aus der Großstadt, der Angst vor Kühen hat. "Kampf der Königinnen" soll nicht nur informieren, sondern auch unterhalten.

In der Sektion "Dokland Hamburg" geht es um Hamburg und die Menschen, die hier leben. So berichtet zum Beispiel die Dokumentation "Wadim" über den bekannten Fall des gleichnamigen Letten, der 2005 - ohne seine Familie - abgeschoben wurde und sich fünf Jahre später, mit erst 23 Jahren, in Hamburg das Leben nahm: die beklemmende Chronik einer unmenschlichen Ausländerpolitik.

Die Retrospektive ist in diesem Jahr Thomas Harlan gewidmet, der 1929 als Sohn des höchst umstrittenen Regisseurs Veit Harlan ("Jud Süss", "Kolberg", "Opfergang") geboren wurde und sich in seinen Filmen vor allem mit der Schuld deutscher NS-Täter auseinandersetzte. Alle seine Filme werden im Metropolis zu sehen sein, ergänzt durch "Thomas Harlan - Wandersplitter. Eine Anti-Biographie", die Christoph Hübner 2006 drehte, vier Jahre vor Harlans Tod in einer Lungenklinik. Dazu gibt es Lesungen (u. a. mit Hanns Zischler) und Diskussionen, zu denen zahlreiche Gäste geladen sind.

9. Dokumentarfilmwoche Hamburg 11.-15.4., im Metropolis, 3001, B-Movie u. Lichtmess; Programm und weitere Infos: www.dokfilmwoche.com