Hamburgs Electro-Quartett Deichkind reißt am 29. März die Bässe erstmals in der O2 World auf. 10.000 Fans werden dort Remmidemmi machen.

Hamburg. "Komm schon, bitte, bitte sag mir doch: Wie heißt die Band, die die Party rockt?", fragte eine Handvoll leicht angetrunkener Typen in Karohemden und Streetwear im Juli 2004 auf der Bühne des ächzend vollen Mandarin-Kasinos. Das Antwort-Echo aus dem Saal, der kochte wie ein prähistorischer Teerteich, ließ natürlich nicht auf sich warten: "Deichkind!"

Das ist lange her. Deichkind war damals eine Hamburger Hip-Hop-Truppe unter vielen. Auf zwei Alben, "Bitte ziehen Sie durch" (2000) und "Noch fünf Minuten, Mutti!" (2002), zelebrierte sie den Rap von permanent am blubbernden Bong saugenden Alltagsversagern, die sich nicht ganz ernst nahmen. Und doch für die Größten hielten. "Nicke mit dem Beat und beweg dein' Arsch, wenn das Deichkind am Mike ist - Bon voyage!" So hätte es ewig weitergehen können, so als lokale Größe. Aber Deichkind war noch nicht am Limit.

"Limit", ein mörderisch bollernder Electro-Rap-Bastard, gab schon 2002 den Weg auf die Rampe Richtung Zukunft vor. Dicke Beats wurden auf den Viervierteltakt geklatscht, Synthies sägten, das Gerät war nicht mehr zu bremsen. Sound mit Zukunft.

Dennoch war das Staunen groß, als Deichkind im November 2005 erneut im Mandarin-Kasino auftrat: Plötzlich hüllte sich die Truppe in Müllsäcke und versteckte sich unter Pyramiden-Helmen. Hip-Hop war vorgestern, aus den Boxen platzte Monate vor Veröffentlichung als Testballon der krawallige Remmidemmi-Electro des Albums "Aufstand im Schlaraffenland" (2006). Deichkind zog in den Krieg, die Waffe war Musik, Boxen und Verstärker waren Barrikaden. Eine Diskurs-Operette aus dem Rechner. Verstanden hat das zu Beginn niemand, auch nicht beim ersten "Bundesvision Song Contest" im Februar 2005. Mit "Electric Super Dance Band" landete Deichkind grandios abgeschlagen hinter Ex-Genrekollegen wie Fettes Brot, Sido, Samy Deluxe oder Jansen & Kowalski auf dem vorletzten Platz. Man wusste einfach nichts mit Deichkinds Neugeburt anzufangen.

Und doch hörte der Beginn einer neuen Bewegung die Signale. Wer sah, wie Hunderte Durchgedrehte 2006 beim "Melt!"-Festival in Gräfenhainichen - im Morgengrauen! - die Bühne stürmten und "Krawall und Remmidemmi" skandierten, der wusste: Hier ist der Sound für den Urlaub vom Urlaub. Plakativ in den Parolen, brutal in seiner Tanzbarkeit. Wer dann auch noch sah, wie Zehntausende beim Hurricane-Festival 2007 die Grunge-Relikte Pearl Jam links spielen ließen und rechts zu Deichkind pilgerten, der wusste, wo der Spruch "die Stimmung ist beschissen" passte und wo nicht.

"Alle machen mit, egal ob groß oder klein." Spätestens mit dem zweiten Album des zweiten Deichkind-Frühlings "Arbeit nervt" (2008) war die Gruppe chic und en vogue. Und das sowohl bei Fans von Bumsbuden-Banden wie den Atzen als auch von politisch freien Electro-Radikalen wie Egotronic.

Im Februar wurde das Electro-Triptychon mit dem Album "Befehl von ganz unten" vollendet. Wie seine beiden Vorgänger folgt der neue Chartsstürmer (Platz 2) dem altbewährten Masterplan. Vieles auf "Befehl von ganz unten" hat akustisch oder lyrisch einen älteren Song im "Partnerlook".

Die Mitmach-Collage "99 Bierkanister" folgt den Tonspuren von "Aufstand im Schlaraffenland" und "Hört ihr die Signale". "Bück dich hoch" tröstet wie schon "Arbeit nervt" den von Burn-out und Deadlines geplagten Stall der Bürohengste. Der Bonustrack "Roll das Fass rein" stößt mit "Prost" und "Gut dabei" an. Computer-Nerds freuen sich über "Illegale Fans" wie über "Ich und mein Computer". Und wer einfach nur abheben will, der bekommt mit "Der Strahl" das Ticket nach oben zu "Hoverkraft" und "Papillon".

Das heißt nicht, dass Deichkind eine Band des Stillstands ist. Philipp, Ferris, Phono und Porky haben Sound, Texte und Bühnenshow konsequent weiterentwickelt und verfeinert. Dabei ist es äußerst erstaunlich, wie gut die vier von ihrem 2009 verstorbenen Freund, Mentor und Produzenten Sebastian "Sebi" Hackert gelernt haben. Was Bassfrequenzen, Effekt-Ebenen und Arrangements betrifft, ist "Befehl von ganz unten" die Spitze der Pyramide.

"Mieten Sie sich also bereits jetzt in Ihre Business-Loge rein", empfiehlt Deichkind für das Konzert in der O2 World. Für das leibliche Wohl ist gesorgt: "Ein Herz aus Hack, mit Pfeffer, Salz und Zwiebeln."

Deichkind Do 29.3., 20.00, O2 World (S Stellingen + Bus 380), Sylvesterallee 10, Karten ab 36,-; www.deichkind.de