Die Hamburger Band Deichkind hat ihr Album “Befehl von ganz unten“ herausgebracht. Anfang März geht es mit neuer Show auf Tournee.

Hamburg. "Wir haben es mal wieder geschafft!" Deichkind Porky strahlt. 30 bis 40 Songs habe man geschrieben, vieles anschließend in die Tonne getreten, 13 Songs seien übrig geblieben. Sie sind jetzt auf dem Deichkind-Album "Befehl von ganz unten" erschienen. Vor einem Jahr schon hatten Ferris, Porky und Philipp, die drei für die Musik verantwortlichen Deichkind-Mitglieder, sich für zwei Wochen - "ohne Internet" - ins Wendland zurückgezogen, um Texte und Musik zu schreiben. Daraus ist im Laufe eines Jahres das aktuelle Album entstanden. "Wir wollten diesmal keine Saufsongs schreiben", sagt Philipp, "sondern Themen setzen." Eine dieser bei den Fans besonders beliebten Mitgrölnummern hat es dennoch auf die CD geschafft: "Roll das Fass rein" hat Deichkind mit den einstigen Hip-Hop-Kollegen Der Tobi & Das Bo aufgenommen.

Auf "Befehl von ganz unten" gibt es zum Beispiel Songs über Aufsteiger-Opportunismus ("Bück dich hoch"), die aktuelle Urheberrechtsdiskussion ("Illegale Fans"), eine 80er-Jahre-Anspielung auf Nena ("99 Bierkanister") oder eine aus Werbeslogans und Klischeesätzen zusammengesetzte Collage ("Leider geil"). "Der Mond ist tot" etwa ist die Fortsetzung von "Luftbahn" vom Vorgängeralbum "Arbeit nervt".

Auch wenn die Musik immer noch auf schnellen Beats basiert und mancher Song sich vortrefflich als Partymusik eignet, ist Deichkind ein ganzes Stück ernster geworden. Der überraschende Tod ihres Freundes und Bandmitglieds Sebastian "Sebi" Hackert im Februar 2009 war eine Zäsur für die Gruppe, in der sie darüber nachdachte, ob man weitermachen sollte. "Es klingt zwar kitschig, aber Sebi hätte gewollt, dass wir weitermachen", sagt Ferris. "Er war für die Band wie eine Vaterfigur. Er war der Kritiker und der Motivator. Wir konnten uns oft hinter ihm verstecken", beschreibt Philipp die wichtige Rolle von Hackert. Er hatte entscheidenden Einfluss darauf, dass Deichkind sich von einer Hip-Hop-Combo zu einer Elektroband entwickelte.

Vor zehn Jahren reichten drei Mikros und zwei Plattenspieler als Bühnenausrüstung, heute wird das Equipment mit einer neuen Bühne in drei 40-Tonnen-Trucks verstaut. "Das ist wenig im Vergleich zu anderen Bands. Rammstein benötigen für ihre Bühnenkonstruktion bestimmt mehr als 30 Lkw, aber das ist für uns finanziell nicht machbar", erklärt Henning Besser alias DJ Phono. Besser hat die neue Bühne zusammen mit seinem Freund Stefan Hübner, einem Entwicklungsingenieur, entworfen. Eine sechsstellige Summe, für die man sich schon ein hübsches Haus kaufen könnte, hat die Band investiert. Immer noch wenig im Vergleich mit Großproduktionen etwa von Lady Gaga, die Besser auf fünf bis zehn Millionen Euro schätzt. Die Prototypen für Deichkinds neues Equipment wurden über Monate in einer Etage in der Poststraße mitten in der Hamburger City gebaut, geprobt wird jetzt in einem hohen geräumigen Kellerraum im Studio Hamburg in Tonndorf.

An einem Reißbrett hängen dort etwa 20 Ausdrucke in DIN A4. "Das ist meine Choreografie", sagt Henning Besser. Auf den Blättern zu sehen sind Bühnenansichten mit Türmen in unterschiedlicher Höhe und Strichmännchen. Am nächsten Tag wird nach diesem Ablaufplan zum ersten Mal die neue Show geprobt. "Es wäre schöner, wenn wir noch etwas mehr Zeit hätten", sagt Besser, "aber selbst, wenn die Dinger nicht fahren, bekommen wir eine tolle Bühnenshow hin."

Die "Dinger", das sind 22 mit glänzender Folie bespannte und mit LED-Leuchten ausgestattete Türme und Podeste zwischen einem halben und vier Meter Höhe. Aus diesen funkgesteuerten und beweglichen sogenannten Omnipods wird das Bühnenbild der nächsten Deichkind-Tour zusammengebaut. Innerhalb der von Besser für jeden Song entworfenen Choreografie schafft er Showtreppen, sodass die Deichkind-Performer während der Konzerte auf die Omnipods klettern können.

Ihre erste Bewährungsprobe erhält die neue Bühne am 1. März in Rostock. Dort beginnt die Deichkind-Tournee, die am 29. März in der Hamburger O2 World enden wird. Dann werden sich Philipp, Porky, Ferris und die anderen Performer wieder ihre Pyramidenhelme aufsetzen und die grellbunten Müllanzüge überziehen, um zwei Stunden lang eine Bühnenshow abzuliefern, die chaotisch wirkt, aber genau durchdacht und konzipiert worden ist.

Henning Besser wird dann nicht mehr wie früher auf der Bühne herumturnen, sondern zusammen mit Stefan Hübner von einem Mischpult aus Regie führen. Damit auch jeder Omnipod sich zu dem Punkt bewegt, der vorgesehen ist. Und zwar millimetergenau.