“In diesem Moment“ verliert der Pop-Entertainer Roger Cicero an Strahlkraft, trotzdem überzeugt sein Konzert 4500 Fans in Hamburg.

Hamburg. "Sogar an wilden Samstagabenden traf ich dich zwischen den Spaßhabenden als gute Laune kostümiert", singt Roger Cicero in "Zu zweit" und rechnet in diesem Lied ab mit seinem alten Feind, der Einsamkeit.

Nun, wild ist der Sonnabend in der Hamburger O2.World nicht, aber von Einsamkeit ist auch keine Spur, obwohl sich nur 4500 Fans bei Ciceros Heimspiel im bestuhlten Saal verteilen. Vor zwei und vor vier Jahren waren es noch deutlich mehr. Vielleicht hat der Stilwechsel weg vom Swing der 40er- und 50er-Jahre hin zu Disco, Funk und Pop, der besonders auf dem aktuellen Album "In diesem Moment" (2011) zu hören ist, nicht so den Nerv der Anhänger getroffen wie die erfolgreicheren Vorgänger "Artgerecht" (2009), "Beziehungsweise" (2007) und "Männersachen" (2006). Oder es gibt zu viele Singles in dieser Stadt.

Denn die 4500 nehmen den Songtitel "Zu zweit" wörtlich. Der Eingang zur O2 World gleicht der Einstiegsluke der Arche Noah. Zutritt nur zu zweit, und das Hand in Hand, Arm in Arm, unter- und eingehakt. Mann und Frau, Frau und Frau, Mann und Mann, alles dabei. Dabei scheint Roger Cicero nicht bei jedem Paar der kleinste gemeinsame Musiknenner zu sein. "Oooh, schau mal, im November kommt Deep Purple", sagt ein älterer Herr zu seiner Begleiterin und klingt sehr traurig dabei.

Dabei gibt es wenig Grund, traurig zu sein. Denn Ciceros 13-köpfige Band, die allein mit acht Bläsern aufwartet, ist durch harten Drill im Proberaum in Timmendorfer Strand und anschließendes Touren hervorragend eingespielt. "Diskobeat: schon da gewesen. Swingmusik: schon da gewesen. Es fängt immer wieder von vorne an, kommt alle Jahre wieder wie ein Bumerang", erkennt der wie immer gut behütete Frontmann zum Auftakt. Tatsächlich ist der Sound, den Ciceros 13 bei "Alles kommt zurück", "Keine halben Sachen" oder "Fachmann in Sachen Anna" entfaltet, äußerst retro. Eine Mischung aus Bond-Titelsong-Glamour, "Shaft"-Soundtrack-Roheit und eiserner James-Last-Bigband-Disziplin, entsprechend bunt ausgestrahlt auf der breiten LED-Videoleinwand. Das hört man gern. Wenn man es hört.

Denn da Cicero scheinbar viele "Freunde, Familie und Arbeitskollegen" im Publikum erkennt, nimmt sich der Entertainer in den Pausen zwischen den Liedern viel Zeit, um Blumen entgegenzunehmen (natürlich in Zellophan verpackt), neue Bandmitglieder vorzustellen, von den Proben zu erzählen oder alte Fotos aus seiner Zeit mit der holländischen "First Show Band" zu präsentieren. Cicero als Partymusiker, verkleidet als Schützenfestkapelle auf dem Raumschiff Orion. Das lange Haar an der Stirn schon licht, deshalb also dieser Hut, der für 45 Euro auch am Fanartikelstand zu haben ist.

Aber die Zeiten, in denen es galt, auf Hochzeiten nur abzuliefern, sind vorbei. Jetzt muss es etwas mehr sein. Ein Sting-Cover im schwer tanzbaren 7/8-Takt zum Beispiel ("I Was Brought To My Senses") oder eine Interpretation von Kelly Clarksons "Beautiful Disaster". Hier lässt er die 16-jährige Oldenburgerin Emily Fröhling ans Mikro und gönnt sich eine Auszeit am Keyboard. Vielleicht braucht er die auch, wie auch die 25 Minuten lange Pause nach "Erste Liebe". Denn Ciceros Stimme klingt nach mehreren Konzerten schon deutlich rauer als auf den Studioalben.

Aber das macht seine Songs im Zusammenspiel mit der Band live deutlich griffiger, zwingender, dynamischer als auf den überproduzierten, kantenlosen Tonträgern. Die Stimmung ist entsprechend gut, wenn Cicero zum Fototermin zwischen den Stuhlreihen herumstreunt, sich auf "In diesem Moment" besinnt oder ein "Kompliment" von den Sportfreunden Stiller verteilt: "Du, ich wollte dir nur mal eben sagen, dass du das Größte für mich bist."

Ein Paar - was sonst - in der Sitzreihe vor uns hat sich Sitzkissen mitgebracht, aber die werden im letzten Drittel der insgesamt 140 Spielminuten nicht mehr gebraucht. "Zu zweit", "Zieh die Schuhe aus" und "Der Typ im Spiegel" werden durchgestanden. "Heut' machst du nur noch Verträge und keinen mehr drauf" ist Aufforderung genug, doch mal einen draufzumachen. Auch wenn es nicht Deep Purple ist.

Also wird der Bierbecher abgestellt, um zum Bühnenrand zu eilen, ob Mann will oder nicht. "Sie geben alles, wenn sie irgendwas wollen, und du beißt auf Granit, wenn sie schmollen", denn "Frauen regier'n die Welt". Dunkelheit wird zu Licht, die Saalbeleuchtung geht an. Hand in Hand, Arm in Arm, unter- und eingehakt wird die Arche Noah wieder paarweise verlassen. Es hat dann doch nicht geregnet.