Das Motiv des Frühlings häuft sich in der Kunst hierzulande bereits seit dem 15. Jahrhundert - als wäre die Jahreszeit eine deutsche Erfindung.

Hamburg. Frühling, das ist Sehnsucht. "Schöner Frühling, komm doch wieder, Lieber Frühling, komm doch bald, Bring' uns Blumen, Laub und Lieder, Schmücke wieder Feld und Wald!", schrieb 1827 Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der Texter der deutschen Nationalhymne. Endlich wieder Sonne und Farben: Fallersleben stimmt hier das Sehnsuchtsmotiv an, das deutsche Dichter mit dem Thema Frühling immer wieder verbunden haben. Das ist verständlich, denn wenn es kalt und dunkel ist, sehnt sich jeder nach Licht und Wärme.

"Ach bittrer Winter, wie bist du kalt! Du hast entlaubet den grünen Wald. Du hast verblühet die Blümlein auf der Heiden", heißt die Klage im deutschen Volkslied.

Und häufig taucht in der Lyrik auch die Metapher des Leichentuchs auf, das der Winter als Schnee über die Landschaft gebreitet hat. Etwa bei Franz Grillparzer, der klagt:

"Die Rose liegt

vom Frost geknickt,

und jubelnd hüllet der Winter

in raschem Flug

sein Leichentuch

um Floras blühende Kinder."

Die große Sehnsucht nach dem Frühling, die in der deutschen Dichtung und auch in der Malerei so vielfältig zum Ausdruck kommt, lässt sich heute nur nachvollziehen, wenn man die klimatischen Besonderheiten der Winterzeit beachtet, die bis ins 19. Jahrhundert hinein für die Menschen in Mitteleuropa große Lasten und Gefahren mit sich brachte. Klimaforscher haben nachgewiesen, dass es von der frühen Neuzeit im 16. Jahrhundert an bis ins 19. Jahrhundert immer wieder erhebliche Kältephasen gab. Dieses Klimaphänomen wird als Kleine Eiszeit bezeichnet.

Die Winter waren besonders lang und kalt, die Sommer häufig nasskalt. Dadurch sanken die Ernteerträge, manchmal kam es fast zu Totalausfällen und in der Folge dann zu Hungersnöten. Wurde im Herbst eine magere Ernte eingefahren, forderte der folgende Winter unweigerlich zahlreiche Todesopfer. Für viele Menschen wurde die kalte Jahreszeit also zur existenziellen Bedrohung, zumal es in armen Gegenden oft auch an Brennmaterial fehlte.

+++ Frühlingsgedichte +++

Kein Wunder, dass die Menschen den Frühling als Befreiung von Hunger, Kälte und Not erlebten. Das war in Mittel- und Nordeuropa, wo die Jahreszeiten besonders ausgeprägt sind, gewiss schon immer so, aber es dürfte sich in der Kleinen Eiszeit noch einmal besonders verschärft haben.

Vermutlich ist das der Grund für die Fülle an Frühlingsmotiven, die es gerade in der deutschen Kunst gibt. Dabei schätzt die deutsche Seele die Verheißung offenbar mehr als die Erfüllung, was in zahlreichen "Vorfrühlingsgedichten" zum Ausdruck kommt.

"Es läuft der Frühlingswind

Durch kahle Alleen,

Seltsame Dinge sind

In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,

Wo Weinen war,

Und hat sich geschmiegt

In zerrüttetes Haar",

heißt es in Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Vorfrühling".

Joseph von Eichendorff besingt 1839 das Schneeglöckchen als ersten Frühlingsboten:

"Süße Glöcklein, nun erwacht,

Denn die warme Zeit wir bringen,

Eh's noch jemand hat gedacht."

Und bei Goethe heißt es zum "März":

"Der Sonnenblick betrüget

Mit mildem, falschem Schein,

Die Schwalbe selber lüget,

Warum? Sie kommt allein."

Für Ludwig Uhland sind die ersten warmen Stunden des Jahres ein sicheres Zeichen dafür, dass sich nun "alles, alles wenden" muss. Theodor Fontante bleibt zunächst verhaltener. In seinem 1895 geschriebenen Frühlingsgedicht heißt es:

"Wohl zögert auch das alte Herz

Und atmet noch nicht frei,

Es bangt und sorgt: es ist erst März

Und März ist noch nicht Mai."

Doch schon in der nächsten Strophe hat der Dichter seinen Winterblues überwunden, denn dort heißt es:

"O schüttle ab den schweren Traum

Und die lange Winterruh:

Es wagt es der alte Apfelbaum,

Herze, wag's auch du."

Den Malern ging es nicht viel anders. Botaniker haben herausgefunden, dass es schon Mai war, als Albrecht Dürer (1471-1528) sein berühmtes "Großes Rasenstück" gemalt hat. Dieses anrührend unspektakuläre Motiv zeigt ein ziemliches Durcheinander von Löwenzahn, Schafgarbe, Breitwegerich und Gänseblümchen. Dass ein Maler Anfang des 16. Jahrhunderts - das Aquarell entstand 1503 - ein so alltägliches Naturmotiv für bildwürdig befand, war revolutionär. Seine Naturdarstellung hat nichts Allegorisches oder Sinnbildhaftes, sondern zeigt mit erstaunlicher Wirklichkeitsnähe ein Stück Natur, das man durchaus als Frühlingsgruß verstehen kann. Und ganz ähnlich unspektakulär ist auch sein "Veilchenstrauß", entstanden um das Jahr 1505.

Caspar David Friedrich (1774-1840) schuf 1803 einen ganzen Jahreszeiten-Zyklus als Sepiazeichnung. Nachdem diese Blätter mehr als 70 Jahre als verschollen galten, konnten drei davon - nämlich Frühling, Herbst und Winter - 2006 mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder und der Hamburger Hermann-Reemtsma-Stiftung von einem privaten Sammler für das Berliner Kupferstichkabinett erworben werden.

Friedrichs "Frühling" ist auch eher ein Vorfrühling, denn die Natur erscheint hier noch nicht üppig, sondern eher verhalten. Dafür geht es schon munter zu. "Kinder spielen, küssen und freuen sich, und das eine Kind begrüßt mit frohem Händeklatschen die kommende Sonne. Lämmer weiden im Tal und auf den Hügeln. Kein Stein ist hier zu sehen, kein dürrer Zweig, kein abfallendes Laub, Friede, Freude und Unschuld und Leben atmet die ganze Natur", schrieb Friedrich über seine Zeichnung, die Natur- und Menschenleben verbindet und symbolisch hoch aufgeladen ist.

Unbekümmerter und fröhlicher wirkt das wohl populärste Frühlingsmotiv der deutschen Malerei, Ludwig Richters "Brautzug im Frühling". Aus einem dunklen Waldstück tritt ein Brautzug in eine heitere Frühlingslandschaft hinaus. Kinder mit Kränzen eilen voraus und haben schon die Brücke erreicht, die einen Bach überspannt. Im Mittelgrund sieht man einen Flöte spielenden Schäfer samt Schäferin und Hirtenknaben und im Hintergrund eine mittelalterliche Burg.

Richter (1803-84) hat diese biedermeierliche Szene 1847 gemalt. Die altdeutsche Kleidung des Brautpaares und die Burg am Horizont sind Ausdruck der Sehnsucht nach dem Mittelalter, das in der Romantik gern als glückliche Zeit einer gesellschaftlichen Harmonie verklärt wurde.