Der Kurznachrichtendienst Twitter bekommt Dependance in Deutschland, womöglich in Hamburg - für die Stadt wäre es ein Imagegewinn.

Hamburg. Vor Kurzem hat Lady Gaga die Marke von 19 Millionen Followern auf Twitter geknackt und damit den Thron der größten Fangemeinde im sozialen Netzwerk bestiegen. Der gehörte bisher Justin Bieber mit gut 17 Millionen Followern. Zum Vergleich: Werber Sascha Lobo, einer der meistbesuchten Accounts in Deutschland, kommt auf knapp 100 000 Follower.

Trotzdem sieht Twitter-Erfinder Jack Dorsey großes Potenzial im deutschen Markt und kündigte bereits im Januar auf der Digital-Life-Design-Konferenz in München an, noch in diesem Jahr eine deutsche Twitter-Dependance zu eröffnen. Nachdem in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass die Hamburgische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF) in Kontakt mit dem sozialen Netzwerk steht, wird die Hansestadt sogar schon als Favorit für die Standortwahl gehandelt. Bislang fehlt eine offizielle Bestätigung, allerdings befände sich Twitter mit einer Hamburger Dependance in guter Gesellschaft, siedeln doch bereits Facebook und Google an der Elbe. Konkret geht es um den Aufbau eines deutschen Büros für die Werbe- und Anzeigensparte von Twitter. Arbeitsplätze würden zwar kaum geschaffen, lediglich ein Dutzend Stellen soll der Ableger umfassen, für den Social-Media-Standort Hamburg wäre Twitter aber ein enormer Imagegewinn.

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Luft nach oben gäbe es noch reichlich, denn so erfolgreich wie sonst in der Welt ist Twitter in Deutschland bislang nicht. Das liegt vor allem an der Scheu vor dem Absetzen von Tweets, den Kurznachrichten die nicht länger als 140 Zeichen sein dürfen. Zu weit verbreitet ist bislang die Meinung, dass Twitter vor allem die Funktion einer Massen-SMS für persönliche Belanglosigkeiten hat.

Weltweit sind über 300 Millionen Nutzer registriert, die meisten in den USA. 300 Millionen Nachrichten rauschen täglich über die Website, in den USA wurde während des diesjährigen Superbowls, des Endspiels der amerikanischen Football-Liga, ein Tweet-Rekord aufgestellt: 10 000 Kurznachrichten pro Sekunde. In Deutschland gibt es nach eigenen Angaben bisher 500 000 aktive Nutzer, durchschnittlich 2,4 Millionen Menschen besuchen die Seite im Monat.

Das soziale Netzwerk will sich in Zukunft stärker als Nachrichtenquelle definieren. "Ich lese keine News mehr, ich schaue auf Twitter, wenn ich wissen will, was in der Welt passiert", so Jack Dorsey. Hier kann das soziale Netzwerk auf seine größte Stärke setzen: Schnelligkeit. Twitter bedeutet Weltgeschehen in Echtzeit zu verfolgen. Ob Terroranschläge in Mumbai oder das Erdbeben in Japan - bevor eine Nachrichtenagentur vor Ort ist, fängt das Gezwitscher im Internet an. Verwackelte Videos und Fotos sind zum Synonym des Bürgerjournalismus geworden.

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Auf der anderen Seite ist Twitter auch ein Symbol der inszenierten Selbstvermarktung. Wenn Sängerin Beyoncé Knowles das erste Bild ihres Babys auf Twitter kostenlos hochlädt, anstatt es für einen Millionenbetrag an ein Klatschmagazin zu verkaufen, ist das sowohl eine nette Geste an ihre Fans als auch eine kostenlose und effektive Form der Eigen-PR. Das Gleiche gilt für Firmen und Politiker, die die Plattform für ihren Wahlkampf nutzen. Barack Obama hat das soziale Netzwerk als ein vollwertiges Sprachrohr, ein legitimes Wahlkampfinstrument gesellschaftsfähig gemacht.

Diese Selbstverständlichkeit weicht in Deutschland einer Skepsis. Angeheizt durch ungeschickte Bundestagsabgeordnete, die Wahlergebnisse, wie etwa bei der Bundespräsidentenwahl im Jahr 2010, vor der offiziellen Bekanntgabe ins Netz stellen. Oder wenn Regierungssprecher Steffen Seibert den amerikanischen Präsidenten als Osama statt Obama bezeichnet. Seibert, gut 50 000 Follower, ist derzeit der prominenteste Polit-Zwitscherer.

Ob Twitter in Deutschland erfolgreich werden kann, ist fraglich. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis sich der Ruf der Sinnlos-Nachricht vom sozialen Netzwerk lösen lässt. Um diesen Schritt zu beschleunigen, setzt Jack Dorsey auf eine neue Strategie: Twitter ohne Twittern. Anstatt selbst Nachrichten zu versenden, sollen User öffentliche Debatten auf dem sozialen Netzwerk mit vielen unterschiedlichen Meinungen beobachten können. Die Theorie des passiven Nutzers gilt übrigens für Dorsey selbst nicht: Seit er 2006 den ersten Tweet ins Netz stellte, sonderte er über 10 000 weitere Kurznachrichten ab. Twitter-Königin Lady Gaga kommt gerade mal auf 1200.