Im Dokumentarfilm “The September Issue“ lässt die unnahbare “Vogue“-Chefin Anna Wintour erstaunlich viel Nähe zu. Heute Abend auf Arte.

Wenn man in diesen Tagen liest, dass Stefano Pilati als Kreativchef bei Yves Saint Laurent abgelöst (und angeblich durch Hedi Slimane ersetzt) wird, kommt man nicht umhin, an diese eine Szene aus "The September Issue" zu denken. Da spaziert die Chefredakteurin der amerikanischen "Vogue", Anna Wintour, in Pilatis Büro zur Vorabsichtung der neuen Kollektion. "Können wir anfangen?", bellt sie, noch ehe sie über die Türschwelle ist. Pilati hampelt herum wie ein Schuljunge, zeigt hier einen Entwurf in Grau, dort ein Kleid in Dunkelgrau, murmelt etwas von "melancholischer Phase", während Wintour kaum merklich die Augen verdreht und auf ein besonders interessantes Staubkorn zu ihrer Linken blickt.

Das hier, macht sie mit jeder Andeutung einer Kopfbewegung deutlich, das hier ist misslungen. Zumindest nicht auf "Vogue"-Niveau. Und Anna Wintour wäre nicht Anna Wintour, würde sie ihr Gegenüber nicht in jeder Sekunde ihre Enttäuschung, um nicht zu sagen: Verachtung spüren lassen. Pilati wird es in den nächsten Monaten schwer haben im Modebusiness.

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Nett sein ist nicht Wintours Part. Sie erledigt ihren Job, zielstrebig, effizient, unnachgiebig - und das schon seit im schnelllebigen Modegeschäft unglaublichen 24 Jahren. Längst hat sie die "Vogue" zu einem Imperium ausgebaut, entscheidet über Trends, Karrieren und einen riesigen Batzen Geld. Sie verschanzt sich meist hinter einer übergroßen Sonnenbrille, verzieht bei Schauen nur selten eine Miene und scheint immer auf dem Sprung zu sein - angeblich bleibt sie auf einer Party nie länger als zehn Minuten. So gesehen ist es erstaunlich, wie nahe sie Regisseur R.J. Cutler an sich herangelassen hat für die Dokumentation "The September Issue", in der er die Produktion der telefonbuchdicken September-Ausgabe der "Vogue" begleitet - die unumstrittene Bibel in Sachen Modetrends.

"The September Issue" bildet den Auftakt der dreitägigen Arte-Reihe "Fashion Weekend" - und man muss sich nicht einmal übermäßig für Mode interessieren, um diesen Film zu genießen, der eine punktgenaue Reise ist ins Innenleben der sagenumwobenen Fashionwelt. "Nur weil man ein schönes Carolina-Herrera-Kleid trägt statt eines aus dem Kaufhaus, bedeutet das nicht, dass man dumm ist", sagt Wintour zu Beginn und gibt damit den Takt des Films vor. Es geht weniger um Zickenkriege, in Tränen aufgelöste Models und "Vogue"-Assistentinnen, wie im Meryl-Streep-Kinofilm "Der Teufel trägt Prada", als um die Arbeit hinter den Kulissen, den alltäglichen Frust.

Klar, der Film zeigt eine Menge Klischees, etwa die silberfarbene Limousine, mit der Wintour bei Starbucks vorfährt, um ihre tägliche Dosis Non-Fat Venti Cappuccino einzusammeln. Vor allem aber setzt Regisseur Cutler eigene Schwerpunkte, etwa mit der Chef-Stylistin der "Vogue", Grace Coddington. Sie, die aussieht wie Vivienne Westwoods kleine Schwester, ist nicht nur eine der raren Frauen, deren Meinung Wintour neben ihrer gelten lässt, sie ist auch der heimliche Star des Films. Coddington begreift Mode als Spiel, wo Wintour die Sache mit heiligem Ernst angeht. Wie mächtig dieses Gespann ist, wie professionell und besonders, davon erzählt "The September Issue".

"The September Issue" heute, 20.15 Uhr Arte