Cannes, Los Angeles, Hamburg: Jeder kennt den Schauspieler Burghart Klaußner. Aber niemand weiß, wer er ist. Wir haben uns mit ihm getroffen.

Hamburg. Geht denn das? Ein Schauspieler, der immer die Unaufdringlichen, die Allerweltsexistenzen verkörpert, der mit sparsamen Mitteln arbeitet und dennoch einer der berühmtesten und meistbeschäftigten deutschen Schauspieler ist?

Burghart Klaußner kann das. Kaum ein deutscher Film kam in den letzten 20 Jahren ohne ihn aus, "Das Superweib", "Rossini", "Crazy", "Goodbye Lenin", "Die fetten Jahre sind vorbei", "Yella", "Das weiße Band" - überall war Klaußner dabei. Man kennt ihn, doch man weiß nicht, wer er ist.

Zu Beginn der 80er-Jahre lebte der Berliner schon ein paar Jahre in Hamburg und gehörte zum Ensemble des Deutschen Schauspielhauses. Mit Unterbrechungen blieb er zehn Jahre an dieser Bühne. Damals hatte Burghart Klaußner schon eine Theaterkarriere vorzuweisen, die ihn mit den großen Regisseuren und Theatern der Zeit verband: Seine erste Rolle spielte er 1971 bei George Tabori in Berlin, er wurde an die Schaubühne engagiert, ans Berliner Schiller-Theater, nach Köln, Frankfurt und Stuttgart. Aber, sagt Klaußner heute, "überall wurde ich wegen Unbotmäßigkeit entlassen. Ich habe mich dauernd eingemischt, gewehrt, an allem abgearbeitet. Anders als die jungen Männer heute, die alle sehr zivilisiert wirken. Ich war ständig gegen etwas."

Schwer vorstellbar bei dem Mann, der heute zu den renommiertesten deutschen Darstellern zählt, der bei den Filmfestspielen über den roten Teppich läuft - in Cannes für "Die fetten Jahre sind vorbei", bei den Oscars für "Das weiße Band". Richtig bekannt geworden ist Burghart Klaußner erst als Filmschauspieler. Wahrgenommen hat man ihn in seinen frühen Jahren am Theater eigentlich viel zu wenig. Das Schauspielhaus in den 80er-Jahren, das waren Ulrich Wildgruber, Hermann Lause, Ulrich Tukur und Susanne Lothar. Wo war da Klaußner?

Heute inszeniert Burghart Klaußner, er spielt in Bochum, Dresden, Hamburg, er gibt Liederabende, spricht Hörbücher ein. Auf die Frage, ob er ein Getriebener ist, antwortet er: "Ich kann nicht herumsitzen. Ich spiele gerne, aber Getriebenheit ist auch dabei." Möglicherweise will er etwas nachholen. "Ich habe zehn Jahre zu spät Karriere gemacht", erzählt Klaußner, "deshalb hab ich zehn Jahre gut. Es hat mich Nerven gekostet durchzuhalten. Wenn meine Frau nicht gewesen wäre, hätte ich das nicht geschafft."

Klaußner, so viel ist sicher, ist ein spät Entdeckter. Einer, der immer schon viel konnte, der aber kein klassischer Held, kein jugendlicher Liebhaber oder auffälliger Exot gewesen wäre. Burghart Klaußner, das ist der "Allerweltsgesichtsprominente", zu dem er in seinen Erwachsenenjahren wurde, also jenseits der 40. Und dann beim Film. Er spielt die Durchschnittstypen, Männer, die in der zweiten Reihe stehen, unter dem Leben ächzen. Gerne wird er als vermeintlicher Langweiler besetzt, als eiskalter Geschäftsmann, als Richter, Pfarrer und immer wieder als Vater.

Er war der Vater in "Good Bye Lenin", in "Requiem", "Kinderspiele" und vor allem in "Das weiße Band". In diesem Film von Michael Haneke spielt Klaußner einen sadistisch-strengen Pfarrer, der seine Kinder tyrannisiert. Ihm vor allem ist es zu verdanken, dass der Film und auch Klaußner selbst mit Preisen überhäuft wurden. "Wir haben kaum geprobt für den Film. Haneke ist wohl davon ausgegangen, dass ich die Rolle schon verstehe. Ich hatte alle Freiheit", sagt Klaußner.

Eigentlich ist es da kein Wunder, dass Burghart Klaußner nun den Willy Loman am St-Pauli-Theater spielen wird, jenen erschöpften, gedemütigten Vertreter aus Arthur Millers Stück "Tod eines Handlungsreisenden", an dem der Traum vom "American Way of Life" zerplatzt. Ein glückloser Jedermann, ein Verlierer. Klaußner sitzt perfekt auf der Rolle drauf.

Theater, so Klaußner "erfordert hohe Beweglichkeit". Man muss sich anpassen können, an unterschiedliche Stile, künstlerische Auffassungen, Kollegen. Mit Regisseur Wilfried Minks arbeitet er gerne, weil auch Minks "Räume und das Dreidimensionale gestaltet. Jeder Fleck auf der Bühne ist ein Kraftfeld für eine Situation, einen Menschen. Es gibt für alles nur einen bestimmten Platz auf der Bühne. Man muss ihn finden, dann gelingt auch die Aufführung." Und dann sagt Klaußner, was eigentlich sein Darstellungsprinzip ist, im Film wie beim Theater. Und was er dort als Schauspieler und als Regisseur verfolgt: "Die Bewegung der Körper im Raum ist das, was die Psychologie bebildert." Jede Bewegung, jeder Blick, jede Geste steht für eine Emotion, einen Gedanken. Aha. Wie kommt Klaußner dann mit jungen Regisseuren zurecht, die dieses Prinzip nicht unbedingt befolgen? "Nicht schlecht", antwortet er. "Denn natürlich sind heute auch andere Dinge wichtig. Jede Zeit hat ihre Ausdrucksmittel. Das Besondere am Theater ist doch, dass es den jeweiligen Stand des Denkens einer Zeit befördert. Die Grundgesetze verletzt man natürlich nicht ungestraft."

Als Willy Loman spielt Burghart Klaußner wieder mal einen Vater und Verlierer. "Er ist erschöpft, abwesend, hat Visionen und Aggressionsschübe. Ich frage mich, wie man es eigentlich mit so jemandem aushält. Das Stück beschreibt einen Mann, der versagt, und ein Wirtschaftssystem, das versagt. Die doppelte Krisenhaftigkeit birgt ein großes Sprengpotenzial. Ich finde, das passt sehr gut in unsere Zeit. Wenn man liest, dass jedes vierte Hamburger Kind in Armut lebt, dann bin ich fassungslos. Man rutscht so schnell aus dem Mittelstand ins Nichts", sagt Klaußner. "Loman ist ein Mann, der nie Nein sagen konnte. Der Sohn wird genauso werden." Es gibt eben Menschen, die sind die geborenen Verlierer.

"Tod eines Handlungsreisenden" ab 28. Februar im St.-Pauli-Theater, jew. 20 Uhr, sonntags 19 Uhr, Spielbudenplatz, Karten von 16,57 bis 48,82 Euro bei der HA-Tickethotline T. 30 30 98 98 und unter www.st-pauli-theater.de