Heute vor 300 Jahren wurde Friedrich der Große geboren. Der Kampf gegen seinen Vater wurde zum Wendepunkt seines Lebens.

Als der Sohn zwölf Jahre alt ist, bemerkt der Vater: "Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopfe vorgeht." Und weiter: "Ich weiß wohl, dass Fritz nicht dieselben Neigungen hat wie ich." Doch er ist nicht bereit, das hinzunehmen, er will den Jungen formen. Und erhöht den Druck. Minutiös ausgearbeitete Tagespläne zwingen den Sohn zu einer fast allen Freiraum zerstörenden Routine aus Unterricht und Arbeit. Er muss den Vater zu Sitzungen und auf Reisen begleiten. Was dem Jungen Freude macht, verbietet er ihm. Fritz ist todunglücklich, aber er rebelliert nicht. Doch er kommt häufig zu spät, und immer wieder stellt er sein Desinteresse demonstrativ zur Schau. Seinen Vater bringt er so zur Weißglut. Der ist ein Mann mit cholerischem Temperament. Er schlägt den Jungen immer häufiger. Auch vor Leuten, die aber nicht wagen einzugreifen. Als der Vater auf den 16-Jährigen besonders brutal einprügelt, brüllt er ihn an: "Ich hätte mich erschossen, wenn mein Vater mich so malträtiert hätte." Da führt der Sohn längst ein Doppelleben. Und hasst den Vater aus tiefster Seele.

Was sich da in den 20er-Jahren des 18. Jahrhunderts am preußischen Hofe abspielt, wird die Beobachter vielleicht schockiert, aber gewiss nicht überrascht haben. Hass und Verachtung zwischen Vater und Sohn ist so etwas wie die Familientradition der Hohenzollern, des brandenburgischen Herrscherhauses. Bei Friedrich, dem jungen Kronprinzen, und seinem Vater, König Friedrich Wilhelm I., wird sie einen blutigen Höhepunkt erreichen.

Es gibt keine andere europäische Dynastie, in der die charakterlichen Gegensätze der Generationen so fulminant ausgeprägt sind. Friedrichs Urgroßvater Friedrich Wilhelm (regierte 1640 bis 1688), den sie später den Großen Kurfürsten nannten, war überzeugt, dass sein Vater Georg Wilhelm (1619-1640) ihn umbringen wollte, und weigerte sich, aus den Niederlanden nach Hause zurückzukehren. Seinen eigenen Sohn Friedrich (1688-1713) verachtete er als Versager. Der wiederum unterstellte auch seinem Vater Mordpläne und flüchtete vom Hofe. Selbst an der Macht, wollte Friedrich es besser machen. Er verhinderte in der Tat (durch große Nachsicht) den offenen Bruch mit seinem Spross Friedrich Wilhelm (1713 bis 1740). Bei tiefer Abneigung aber bleibt es: Der Sohn ist angewidert von Verschwendung und Vetternwirtschaft am Hofe des Vaters.

Erst also ein inkompetenter Zauderer, dann ein zupackender Erneuerer; gefolgt von einem Luxusversessenen und einem Geizhals - das ist die Ahnenreihe des jungen Friedrich. In einem Land, das so unbedeutend ist, dass niemand ahnen konnte, welch gewichtige Rolle es in der europäischen Geschichte noch spielen sollte.

Als die Salutschüsse am 24. Januar 1712 von der Geburt des Prinzen künden, ist Berlin eine Kleinstadt und Preußen pleite. König Friedrich I. betreibt wie viele seiner fürstlichen Zeitgenossen einen absurden Aufwand, um an seinem Hof dem glanzvollen Vorbild Versailles nachzueifern. Man wäscht sich zwar, aber trinkt maßlos Wein und isst Unmengen Fleisch (was zu erheblichen Verdauungsproblemen und Gicht als "Volkskrankheit" der Aristokraten führt). Man gibt sich goldbrokatverziert möglichst raffinierten Vergnügungen hin.

Doch am 25. Februar 1713 endet die Party abrupt. Friedrich I. stirbt und sein Sohn räumt auf. Schnell und gründlich. Er setzt, kaum ist sein Vater unter der Erde, 90 Prozent des Hofstaates vor die Tür, verweist alle Gaukler, Schnorrer und Verschwender des Landes, verkauft Schmuck und Pelze und lässt das Tafelsilber in der Münze einschmelzen. Einen radikaleren Thronwechsel hat es nie gegeben. Friedrich Wilhelm I. will aus dem ruinierten, militärisch unbedeutenden Preußen einen Staat machen, den niemand mehr zu ignorieren wagt. Und er hält Wort.

Das meiste dessen, was wir heute, im Guten wie im Schlechten, mit Preußen verbinden - Militarismus und religiöse Toleranz, effiziente Verwaltung und pedantische Kleinlichkeit -, hat dieser kleine dickliche Mann geschaffen. Ein strenggläubiger Reformierter, der fest davon überzeugt ist, dass auch er als König sich vor seinem Schöpfer für alle seine Taten wird rechtfertigen müssen. Und so baut er zwar ein für das kleine Preußen geradezu grotesk großes Heer auf (zuletzt 80 000 Mann), er scheut sich aber davor, es einzusetzen. "Das Leben eines Menschen darf nicht in einem ungerechten Krieg geopfert werden", bläut er seinem Sohn ein.

Der kleine Thronfolger Friedrich wächst so in einer erstaunlichen Umgebung auf. Oft ist er in Potsdam, das unter seinem Vater zu einer Militärstadt wird. Disziplin, Ordnung, Pflichtgefühl, Bescheidenheit werden dort gelebt beziehungsweise müssen gelebt werden. Seine Mutter, Königin Sophie Dorothea, entfremdet sich indes von ihrem Gatten. Sie, Tochter des englischen Königs Georg I. und Schwester Georgs II., träumt von der großen Welt, von London und Paris, statt im kargen, zugigen Schlösschen von Hohenschönhausen langweilige Sommer zu verbringen.

Friedrich, der als kleiner Junge noch zur Freude seines Vaters in seinem niedlichen Offiziersröckchen mit Kindersoldaten exerziert, folgt mit zunehmendem Alter dem Traum seiner Mutter gerne. Beide sehnen sich nach "Gloire", ihrem Kontrastprogramm zur ach so biederen Realpolitik des Königs. Der hat die gepuderten Perücken ins Feuer geworfen, sitzt fast jeden Tag Bier trinkend in seinem "Tabakskollegium" und veranlasst so skurrile Dinge wie den Bau einer Wasserleitung in sein Schloss: Der König legt Wert auf Hygiene. Er denkt von morgens bis abends an den Staat und ist gepeinigt von dem Gedanken, sein Werk könnte scheitern.

Der heranwachsende Friedrich ist so gar nicht der Sohn, den er sich wünscht. Dieser liebt die Musik (für Friedrich Wilhelm im Gegensatz zur Malerei keine Kunst) und die Philosophie, sein Vater fürchtet Gott und liebt den Staat. Friedrich ist ein Schwärmer, verträumt, zart, sein Vater will den preußischen Geist in ihn hineinprügeln. Es bereitet ihm Albträume, dass sein Sohn wie sein Vater werden könnte.

Friedrich erträgt die immer absurder werdenden Erziehungsversuche seines Vaters mit zur Schau gestellter Gleichgültigkeit. Sein eigentliches Leben führt er im Verborgenen. Er lernt heimlich Flöte, legt sich heimlich eine Bibliothek mit vor allem französischen Werken der Aufklärung zu, macht heimlich gewaltige Schulden und lässt sie von den englischen Diplomaten Charles Hotham und Sir Guy Dickens ebenso heimlich bezahlen - in den Augen des Vaters wäre das fast schon Hochverrat. Und da ist auch noch die Heiratsfrage: Die Königin plant eine Doppelhochzeit (Friedrich und seine Schwester Wilhelmine sollen Cousin und Cousine aus dem englischen Königshaus heiraten). Friedrich ist begeistert, Friedrich Wilhelm entsetzt. Er will eine deutsche Ehe: mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern. 1730, Friedrich ist 18 Jahre alt, eskaliert vor diesem Hintergrund der Vater-Sohn-Konflikt. Es wird der so oft beschriebene Wendepunkt in Friedrichs Leben. Gemeinsam mit seinem engsten Freund, dem jungen Leutnant Katte, 26, plant Friedrich die Flucht aus Preußen. Über Holland wollen sie sich unter falschen Namen an den englischen Hof retten. Der Plan ist dilettantisch, beide werden rasch gefasst und ins Gefängnis gebracht. Es ist viel mehr als eine familiäre Auseinandersetzung - es ist ein europäisches Politikum.

Der König und sein Sohn aber verleben die furchtbarsten Tage ihres Lebens. Friedrich Wilhelm, besessen davon, Gerechtigkeit zu üben und Friedrich nicht zu bevorzugen, lässt ihn und Katte wegen Fahnenflucht anklagen. Darauf steht der Tod. Doch die Richter weigern sich, über den Kronprinzen zu richten - das könne nur der König. Friedrich Wilhelm tobt, verlangt ein Urteil. Die Richter bleiben bei ihrem Nein.

Tagelang quält er sich. Er wütet und er weint, ein Mann, der zwischen Vaterliebe und Staatsräson in Verzweiflung gerät. Friedrich weiß, dass er in Todesgefahr schwebt. Dass sein Vater es ernst meint. Er bekommt eine Liste mit 185 Fragen. Die 184. lautet: "Ob er sein Leben wolle geschenket haben oder nicht?" Friedrich anwortet, dass er sich "dem Willen und der Gnade des Königs voll und ganz unterwerfe". Und der König entscheidet sich für das Leben - aber nur für das seines Sohnes. Katte muss sterben. Friedrich fleht seinen Vater an, will sein eigenes Leben für das seines Freundes geben. Doch er muss in der Festung Küstrin mitansehen, wie der Scharfrichter dem Freund den Kopf abschlägt. Die Wachleute waren angewiesen worden, Friedrichs Gesicht gegen die Gitterstäbe seiner Zelle zu pressen - ihm sollte nichts entgehen.

Es ist der blutige Höhepunkt - und Wendepunkt - des Vater-Sohn-Konflikts. Nach diesem Tag neigen beide zur Mäßigung. Friedrich weiß, dass er sich unterordnen muss, wenn er König werden will. Friedrich Wilhelm ist bereit, Wohlbetragen seines Sohnes zu belohnen. Friedrich willigt ein, "Preußen zu lernen", von der Pike auf. Er reist durch das dünn besiedelte, von der Natur nicht eben reich beschenkte Land. Er besucht "Krongüter", die königlichen Landwirtschaften, Manufakturen und Amtsstuben in der tiefsten Provinz.

Friedrich fügt sich auch in seine Ehe. Dem wichtigsten Minister seines Vaters, von Grumbkow, vertraut er vor der Heirat an, dass er Christine von Braunschweig-Bevern verstoßen werde, sobald er König sei. Er wird Wort halten. Es wird eine "Josefsehe", eine Verbindung ohne Sexualität. Seine Frau, die ihn um elf Jahre überleben sollte, führt ein Schattendasein. Die Heirat bezeichnet Friedrich als Kaufpreis für den Königstitel. Er wird belohnt. 1736 darf Friedrich auf Schloss Rheinsberg seinen eigenen kleinen Hofstaat einrichten. Es wird eine Männergesellschaft, die schönste Zeit seines Lebens, wie er später sagen wird. Dort philosophiert er, dort entwickelt er seine politischen Ziele, dort wird er zum Machtpolitker. Als er am 31. Mai 1740 am Sterbebett seines Vaters steht, ist er voller Tatendrang. Preußen steht besser da denn je. Die Armee ist so gut ausgerüstet und ausgebildet wie keine andere in Europa. Der Staat ist schuldenfrei, acht Millionen Taler Rücklagen hat der Vater angehäuft. Friedrich hat längst erkannt, welch großes politisches Werk sein Vater vollbracht hat.

Friedrich II. ist 28 Jahre alt und voller Vorfreude auf sein "Rendezvous mit dem Ruhm". Noch im selben Jahr wird er an der Spitze seiner Armee in Schlesien einmarschieren, das er Österreich rauben will. 23 Jahre und drei Kriege wird es dauern, bis ihm das endgültig gelingt. Friedrich, der seinem Vater zu weich war, ist der größte Feldherr seiner Zeit, ein militärisches Genie. Sie nennen ihn jetzt "den Großen". Doch er zahlt einen hohen Preis. Als er 1763 aus dem dritten der Schlesischen Kriege zurückkehrt, ist sein Staat ruiniert. Früh gealtert, wird er jetzt zum "Alten Fritz", zum Zyniker. Seine Frau, die er nach sechs Jahren erstmals wiedersieht, begrüßt er mit den Worten: "Madame sind korpulenter geworden." Weitere 23 Jahre wird er noch regieren. Jahre, in denen er versucht, das wieder aufzubauen, was die Kriege zerstört haben. Als Nachfolger bleibt schließlich sein Neffe Friedrich-Wilhelm übrig. Man muss wohl kaum erwähnen, dass er ihn für einen Versager hält.