Oasis ist Geschichte, doch zum Abschied gibt es noch “Time Flies“, die ultimative Retrospektive mit Singles, Konzert-Mitschnitten und Videoclips.

Hamburg. "Beady Eye" also, alles andere wäre auch Frevel. Wir geben offen zu und sind parteiisch: Ohne Noel kein Oasis, und deswegen ist die Umbenennung des Britpop-Schlachtschiffs, an dessen Deck die Gallagher-Brüder sich am liebsten selbst bekämpften, ein dringend notwendiger Schritt. Irgendwann auf der letzte Tour ging Oasis bekanntlich der wichtigste Songwriter verloren . Wenn man das alles richtig verstanden hat, soll Noel die Kinder Liams beleidigt haben - oder war's umgekehrt? Ganz egal, jedenfalls war eine der wichtigsten Bands der 90er-Jahre endgültig am Ende. Für viele war sie das freilich schon 14 Jahre vorher. Ab sofort also heißt die Restband um Liam also nicht mehr Oasis, sondern Beady Eye. Glänzende Augen bekommt man ganz bestimmt nicht im Vorausblick auf die einigermaßen (limitierten) Songwriterkünste der Bagage, sondern viel eher in der Retrospektive.

Das Vergegenwärtigen des Vergangenen zeigt das Unverzeihliche eines Niedergangs: sowohl in Bezug auf den Britpop an sich als auch das Oasis-Oeuvre, das nun noch mal als Gesamtwerk erscheint. "Time Flies" heißt die Liebhaber-Box mit allen Singles, Konzert-Mitschnitten und Videoclips, aus der einen die Grandezza der, nach eigenem Bekunden, zweitbesten britischen Band aller Zeiten mit ihren tosenden Gitarren und wunderbaren Melodien anspringt. Wir kommen später darauf zurück und widmen uns zunächst Glanz und Gloria einer Ära, die viel zu schnell vorbei war.

Auf dem Höhepunkt der Britpop-Hysterie, in der es im Vereinigten Königreich nichts Wichtigeres gab als den "Battle of Britain", den Hitparaden-Kampf zwischen Oasis und Blur, kam es im House of Commons zu einem denkwürdigen Treffen. Der Labour-Führer und nachmalige Premier Tony Blair empfing Blur-Chef Damon Albarn zum Gedankenaustausch bei ein paar Drinks. Es war ein Treffen auf Augenhöhe: Albarn und Blair waren mindestens gleich berühmt. Wer sich mit diesem Date allerdings mehr schmücken konnte, war ganz klar: der Politiker. Es gab damals schlicht nichts Zeitgemäßeres, als sich mit einem erfolgreichen und "Englishness" exportierenden Musiker zu zeigen.

Es gibt auch Bilder von Noel Gallagher und Blair, die Relevanz und das Image des Pops stand vor anderthalb Jahrzehnten noch einmal in seiner Blüte. Popmusiker bestimmten die Schlagzeilen der Zeitungen, die Helden des neuen englischen Popwunders wurden zur Celebrity-Elite, von der jeder Verbalfurz seine Berechtigung hatte. Die Streitigkeiten zwischen den Gallagher-Brüdern untereinander und mit Albarn waren episch.

Ein Höhepunkt jagte den nächsten, und auch wenn 1995 Blurs Single "Country House" Oasis' "Roll with it" im Kampf um die Chart-Spitze schlug: Das war eine Schlacht, den Britpop-Krieg gewannen Oasis. 1996 spielte die Band an zwei aufeinanderfolgenden Abenden vor jeweils 450 000 Fans in Knebworth. Mit den Singles "Supersonic", "Live Forever", "Wonderwall", "Don't look back in Anger" legten die größenwahnsinnigen Musiker eine brillante Single nach der anderen vor, sie waren die Band der Stunde.

Aber bereits nach zwei Alben begann der Abstieg, und es verwundert nicht, dass sich die Erfolgskurven von Oasis und Britpop zeitgleich senkten. Am 21. August 1997 erschien "Be Here Now", zehn Tage später starb Lady Di in einem Tunnel in Paris. Die Welt trauerte und kaufte letztmals wie verrückt Oasis-CDs. "Be Here Now" ist ein von der Kritik zu Unrecht verschmähtes, großkotziges Werk mit Gitarrenwänden, die jeden Raum wackeln ließen; magisch waren Oasis aber ab sofort nicht mehr. Und die ewigen Kabbeleien der Streithansel langweilten irgendwann nur noch. In den Nullerjahren hatten Oasis noch ihre Momente, bedeutend waren sie nicht mehr, aber eine immerhin ziemlich gute Rockband. Und 2009 war dann Schluss: Die letzte Single hieß bezeichnenderweise "Falling Down".

Damon Albarn, der Konkurrent von einst, wird mittlerweile als eine Art Popgenie betrachtet und macht mit Blur nur noch dann Musik, wenn er Bock hat. Dass die Britpop-Blase platzte und der Hype nach vier Jahren vorbei war, wie Musikhistoriker wie John Harris ("The Last Party. Britpop, Blair an the Demise of English Rock") herausfanden, ist für Albarn nur ein (wichtiges) Kapitel der eigenen Schaffensgeschichte. Er passte sich mit seinen anderen Projekten, vor allen den Gorillaz, dem Zeitgeist an und machte in Elektro-, HipHop- und Weltmusik.

Oasis blieb Oasis, und wer Noel Gallagher heute mit seiner Akustikgitarre in der Royal Albert Hall "The Masterplan" spielen sieht, muss ein Herz aus Stein haben, sollte ihn dies nicht anrühren. Die "Time Flies"-Box ist natürlich vor allem etwas für Komplettisten und soll den Bengeln aus Manchester noch etwas Moneten bringen, bereits 2006 gab es ein Best-of-Album: "Stop the Clocks". Freilich ist die Werkschau nun gerechter, indem sie einfach alle Singles (bis auf ein paar nur in Japan veröffentlichte) berücksichtigt - samt zum Beispiel den wunderbaren Songs "All Around the World" und "Whatever". Ein Live-Mitschnitt ihres letzten Konzerts, und, in der Deluxe-Version, eine DVD mit sämtlichen Videoclips der 18-jährigen Bandgeschichte runden das Rumdum-Sorglospaket ab.

Die Beatles waren Oasis nie, nein: aber eine große Band und äußerst unterhaltsam. They gonna live forever.

Oasis: Time Flies (Sony); www.oasisnet.com und www.sadsong.net (Fanseite)