Mit einer Handvoll Händel-Arien meldete sich der offiziell genesene Tenor Rolando Villazón wieder zurück.

Hamburg. Ob es eine mexikanische Variante des Sprichworts "Willst du gelten, mach dich selten" gibt, die Rolando Villazón aus seiner Heimat kennen könnte, sei mal dahingestellt. Als Arbeitstitel für den Händel-Abend, mit dem sich der Tenor der Herzen nach längerer Zwangspause bei seiner Hamburger Fangemeinde als offiziell wieder genesen zurückmeldete, hätte sie jedenfalls gut gepasst: Gerade mal eine Handvoll Arien gab's von ihm bis zum Beginn der Nachspielzeit. Die allerdings riss, wie so oft im Leben, das Ruder zu seinen Gunsten sympathisch und herzerwärmend herum.

Schon bei "normalen" Liederabenden geizen Opern-Stars sehr gern mit ihren Reizen und lassen das Begleitorchester oder kostengünstig dazugestellte Nachwuchs-Stimmchen auf Zeit singen und spielen, während der Hauptdarsteller die eigenen Kräfte gut auf ein paar Programm-Häppchen portioniert. Schnell verdiente Gage.

Hier war es ganz ähnlich. Mit den Orchesterparts glänzten erwartungsgemäß die Gabrieli Players unter Paul McCreesh, die das Programm mit irgendeinem Concerto Grosso und irgendeinem Oboenkonzert auf Standardlänge brachten. Den Rest füllte die sehr blonde Sopranistin Lucy Crowe ebenso rechtschaffen wie unbedeutend mit Arien aus "Giulio Cesare" auf. Und doch war es anders.

Als Villazón noch im Vollbesitz seiner stimmlichen Kräfte war, wäre sein Händel-CD-Programm als Live-Konzert ein Coup gewesen, über den man wunderbar streiten kann und sollte - ist Barockes überhaupt "sein" Metier, ein Ausweichmanöver in unerschlossene Repertoire-Gebiete, um auch dort abzukassieren? Oder schlicht eine spinnerte Tenor-Marotte, die ihm niemand rechtzeitig ausgeredet hatte? Doch was von der Laeiszhallen-Bühne kam, war vor allem eine behutsame, buchstäblich selbst-bewusste Reha-Maßnahme vor gespanntem Publikum.

War es deswegen schlecht im klassischen Sinne des Wortes? Eigentlich nicht. Es war nur überfällig.

Villazón hat in der Vergangenheit den Fehler gemacht, zu oft Ja zu sagen, und er hat daraus gelernt. Er singt "seinen" Händel, den er randvoll mit Testosteron pumpt und dessen Affektbeladenheit er genießt wie ein hyperaktives Kind einen unbeaufsichtigten Spielzeugladen, nach wie vor gern; das ist keine Pflicht bloß für den Kontostand oder den Lebenslauf. Es ist Geschmackssache. Doch Villazón weiß jetzt offenbar auch, schmerzhaft erfahren, dass man nicht alles gleich, sofort und für immer haben kann. Erst recht nicht in seinem Beruf, dessen Arbeit nicht etwa in den Stimmbändern beginnt, sondern eine Etage tiefer, im Herzen.

Scheitern als Chance, diesen zwiespältigen Eindruck machte Villazóns Gesang von Anfang an. Er war nervös, er war verspannt, er gab lieber etwas zu wenig Gas als, wie früher, viel zu viel. Spitzentöne waren weniger Glanzlichter und vielmehr Klimmzüge, allzu Leises und Tiefes wackelte gleichermaßen. "Scherza infida" war eine Angst-Partie - nur anders als von Händel gedacht.

Die Hopppla-jetzt-sing-ich-Leichtigkeit des Wonneproppens fehlte, das flotte Tänzeln übers Drahtseil der barocken Verzierungen, die selige Ignoranz des dabei stets drohenden Absturzes.

Jetzt, endlich, hörte man auch bei ihm, wie brutal schwer Singen sein kann, wenn der Sänger nicht mehr verbergen kann oder will, dass es brutal schwer ist. Nur in der sicher beherrschten Mittellage war Rolando Villazón ganz bei sich. Die Angst sitzt tief. Schön ohne große Wenns und Abers war das alles nicht, dafür aber ehrlich.

Monatelang musste Villazón fernab des Rampenlichts durch diese Krise durch. Nun ist sein Publikum dran. Vielleicht ist das nur gerecht, vielleicht ist es sogar lehrreich. Und möglicherweise ist es sogar Teil der Lektion, dass die nächste Programm-Idee Villazóns auf die Sicherheit gebende Heimat zielt, zu den Herz-Schmerz-Liedern der Mariachis. Mit Oper hat das nicht im Entferntesten zu tun. Doch Latin Lover - siehe Kollege Domingo - geht ja immer.

Bis zur dramaturgisch seltsam ans Ende gesetzten Todesszene aus "Tamerlano" war vieles also weit davon entfernt, gelungen gewesen zu sein. Dann aber kamen die Zugaben, die Händel-Hits "Ombra mai fu" und "Doppo notte", die sich Villazón aus guten Gründen zuvor verkniffen hatte. Der dankbare Wiedersehens-Schlussbeifall war jetzt Ansporn genug; jetzt war die Pflicht geschafft und die Kür konnte kommen. Der Sicherheitsgurt vor der Sängerseele wurde gelockert. So viel Spaß musste jetzt sein, das barocke Rollenkorsett flog zwei Arien lang in eine Bühnenecke. Villazón hatte genug vom Respekt, von den Zweifeln. Er wollte singen. Nur noch singen.

Es war in diesen Minuten eine echte Freude, den "alten" Villazón wiederzusehen, das Strahlen in den Augen beim Singen, den spontanen Genuss des Künstler-Daseins - und die hart verdiente Begeisterung danach. Irgendwann, hoffentlich bald und dauerhaft, wird er auch wieder zu hören sein.