Tenor Rolando Villazón ist mit Stimmproblemen nicht allein. Maria Callas hatte sie, Peter Hofmann auch. Singen ist Hochleistungssport.

Hamburg. Es ist Sonnabend, früh um elf. Generalprobe. Auf dem Programm stehen "Les nuits d'été" von Hector Berlioz, ein Zyklus von Orchesterliedern. Der Dirigent dirigiert, das Orchester spielt, nur die Sopranistin ist kaum zu hören. So weit, so normal. Schließlich muss sie das Ganze im Konzert abends noch einmal singen. Aber als sie vom Podium steigt, klagt sie über Indisposition. Diskrete Anspannung breitet sich aus: Was tun, wenn sie ausfällt? Nachmittags lässt sie sich zu einem Arzt fahren. Am Abend leuchtet ihr Timbre wie gewohnt über dem Orchesterklang; eine Cortisonspritze ließ die Stimmbänder abschwellen. Die Sängerin verdonnert alle Beteiligten zu Stillschweigen über die Widrigkeit. Schon gar nicht will sie ihren berühmten Namen in diesem Zusammenhang in der Zeitung lesen.

Kein Wunder. Eine Stimmkrise hat man nicht, denn sie gefährdet die Karriere. Höchstens hatte man sie, vor mehreren Jahren, in sicherem Abstand. Die Operngeschichte ist voll davon: Maria Callas' Stimme war schon auf dem Höhepunkt ihrer Karriere hörbar angeschlagen; Peter Hofmann, mit Aplomb als Siegfried nach Bayreuth geholt, verlegte sich nach wenigen Jahren auf Rock 'n' Roll samt Mikro; die Sopranistin Natalie Dessay stieg für Jahre aus.

Der Tenor Rolando Villazón verdankt es seinem Status als Superstar, dass die Öffentlichkeit seit Jahren seine Aufs und Abs mit ihm durchleidet und ihm die Veranstalter die Treue halten. Vergangenes Jahr wurde Villazón an den Stimmbändern operiert. Heute holt er in der Laeiszhalle das Händel-Konzert nach, das er damals absagen musste; mit von der Partie sind außer ihm die Sopranistin Lucy Crowe und die Gabrieli Players unter der Leitung von Paul McCreesh. "Singen ist Hochleistungssport. Der Körper soll bitteschön immer gleich funktionieren. Aber das tut er nicht", sagt die Mezzosopranistin Cornelia Salje. "Manche Sänger haben für den Notfall Cortison bei sich." Salje weiß, wovon sie spricht: Bevor sie mit ihrer Familie in die Nordheide zog, gehörte sie acht Jahre lang dem Ensemble der Wiener Staatsoper an. Sie kennt den Betrieb von innen - und den enormen Druck, der auf den Sängern lastet.

"Der Körper verändert sich dauernd", erklärt Salje, "die Muskelspannung, die Schleimhäute. Alle paar Jahre hat man es mit einem neuen "Instrument" zu tun. Ich kenne kaum einen Sänger, der nicht irgendwann eine Krise hätte."

Die Gründe dafür sind vielfältig - angefangen mit einer simplen Erkältung. Eine falsche Gesangstechnik ist auf Dauer Gift für die Stimme. Und als Teil des menschlichen Organismus reagiert das Instrument Stimme sensibler auf seelische Belastungen als eine Flöte oder ein Horn. Flugzeugluft, Jetlag, dauernde Auftritte, mangelnde Akklimatisierungszeiten, all das machen Stimmbänder nur bedingt mit. Jeder Sänger muss seine Grenzen kennen - oft ein bitterer Lernprozess.

Der Musikbetrieb trägt natürlich einen Löwenanteil dazu bei, dass sich Sänger verschleißen. Zu viele wirtschaftliche Interessen hängen daran. Jedes Opernhaus will einen Publikumsmagneten wie Villazón, die Agenten verdienen an jedem Auftritt mit. Ob ein Sänger für sein Stimmfach und seine Persönlichkeit die richtige Rolle singt, ob er zu viele Abende singt oder nicht, darauf achtet kaum jemand. Und Nein zu sagen glauben sich die wenigsten Sänger leisten zu können. "Ich bin nicht mehr nur Sänger, sondern ein Produkt", hat Villazón dem "Opernglas" gesagt.

Er verkörpert jeden Part, ob Nemorino in Donizettis "Liebestrank" oder den Evergreen "O sole mio", mit rückhaltlosem Einsatz. Daher rührt einerseits seine hinreißende musikalische Glaubwürdigkeit - aber selbst die beste Gesangstechnik schützt nicht vor Überlastung, wenn jemand sehr oft Extremleistungen bringt und im Überschwang zuviel Kraft aufwendet. Steht erst einmal in der Zeitung, dass die Sopranistin Sowieso eine Stimmkrise habe, sind die Veranstalter alarmiert. "Ich glaube aber nicht blind daran", sagt Tobias Hasan vom Künstlerischen Betriebsbüro der Hamburgischen Staatsoper. "Ich tausche mich mit Kollegen von anderen Opernhäusern aus. Im Zweifel setze ich mich ins Flugzeug und höre mir eine Vorstellung an. Mit geschulten Ohren kriegt man schon raus, ob jemand etwas Ernsteres hat oder nur eine Bronchitis."

Um Knötchen auf den Stimmbändern, Zysten und ähnliche Probleme kümmert sich Henning Brunckhorst. Der Hamburger HNO-Arzt hat seine Praxis gleich neben der Staatsoper. Zu Cortison oder Skalpell greift er nur selten. In den allermeisten Fällen lässt Bromelain, ein Wirkstoff aus der Ananas, die Stimmbänder abschwellen. "Die Leute sind sehr skeptisch mit Cortison", weiß er. "Das kann man zur Not mal drei, vier Tage machen."

Das Wichtigste aber ist, auf den eigenen Körper zu hören. "Eigentlich müsste man sich tagsüber zurückziehen und auf den Abend fokussieren", sagt Cornelia Salje. "Man sollte nicht viel reden, sondern sich ausruhen, um eine gute Körperspannung aufbauen zu können." Eine Herausforderung für ein quirliges Künstlertemperament wie Villazón. Nach seiner Stimmbandoperation hat er sich mit einem Video an seine Fans gewandt. Strahlend ruft er in die Kamera: "Meine Stimme ist wieder da!" Wir hoffen, sie bleibt.

Rolando Villazón , Lucy Crowe, Gabrieli Players, Paul McCreesh: heute um 20 Uhr, Laeiszhalle. Karten zu 15,- bis 149,- unter T. 35 76 66 66