Das ZDF zeigt am Dienstag um 20.15 Uhr das doku-fiktionale Drama “Dutschke“ über das Leben des revolutionären Studentenführers.

Er war Leichtathlet, Zehnkämpfer. Für den Schriftsteller und 68er-Weggefährten Peter Schneider ist das ein wichtiger Zugang zu Rudi Dutschkes Persönlichkeit: Er sei ein "angstloser Mensch" gewesen, mit einem "sehr großen körperlichen Selbstvertrauen". Das war nicht nur von Vorteil, um nach Demonstrationen vor der Polizei über eine Zwei-Meter-Mauer zu flüchten. Es erklärt auch einen Teil von Dutschkes Erfolg: seine enorme physische Präsenz, selbst in überfüllten Hörsälen.

Schon solche kleinen Seiten-Einblicke machen das Doku-Drama "Dutschke" sehenswert. Dem Filmemacher-Duo Daniel Nocke, geboren 1968, und Stefan Krohmer, geboren 1971 (u. a. "Sie haben Knut", "Familienkreise") war bewusst, wie sehr Rudi Dutschke die Gemüter noch heute polarisiert: Für die einen war er die fleischgewordene Bedrohung bürgerlicher Ruhe und Freiheit, für andere der charismatische Studentenführer in Revolutionslederjacke. "Wir wollten kein bestimmtes Dutschke-Bild korrigieren, sondern die Gegensätze zulassen", sagt Krohmer.

Dabei sollte ein "jüngerer", unbefangener Blick auf den Menschen Dutschke, seine Rolle und seine Zeit geworfen werden. In einem doku-fiktionalen Konzept, entwickelt zusammen mit der ZDF-Redaktionsleiterin Fernsehfilm Caroline von Senden, wechseln gespielte Szenen, historisches Filmmaterial und Interviewpassagen ab. Zu Wort kommen unter anderem Dutschkes Witwe Gretchen, der Sozialwissenschaftler Wolfgang Kraushaar, Zeitzeuge Eberhard Diepgen und ehemalige Mitkämpfer wie Bernd Rabehl, Gaston Salvatore, Peter Schneider und Helga Reidemeister. Gretchen Dutschke wirkte als Beraterin mit.

Mit Dutschke - 1940 in Brandenburg geboren, 1961 nach West-Berlin geflohen, überzeugter Christ - betrat ein ungewöhnlicher Typ die Bühne der jungen Studentenbewegung, die er innerhalb kurzer Zeit radikalisierte. Mitstreiter sprechen von seinem "tiefen Glauben", von seiner fast "protestantischen" Entschlossenheit, die Welt gerechter zu machen. Sein Umfeld im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) war fasziniert von seiner Tatkraft. Man balgte sich um seine Nähe - wie sehr das bis heute nachwirkt, fangen die Interview-Gegenschnitte sehr schön ein. Die gespielten Filmszenen zeigen hinter dem Agitator einen spartanisch lebenden, treuen Ehemann und späteren Vater. Dutschke (gespielt von Christoph Bach) lebt mit seiner amerikanischen Frau Gretchen (Emily Cox) in möblierten Studentenbuden, feilt nächtelang an Reden und Aufsätzen, spricht vor Studenten in ganz Westdeutschland. 1968 wird der erste Sohn geboren, Hosea Che.

Für Dutschke, in dieser Hinsicht ganz DDR-geprägt, waren Ehe und Vaterpflichten selbstverständlich - für seine Neben-Häuptlinge war die Revolution Männersache. Sie sahen in Gretchen einen Fremdkörper, eine Art Hausgeist, der nur die Teetassen von rechts nach links tragen sollte.

"Uns ist sie auf den Wecker gegangen mit ihrer Hilflosigkeit", sagt Bernd Rabehl. "Wir wollten sie ihm ausreden." Dagegen sagt Helga Reidemeister: "Gretchen ist als Person immer völlig unterschätzt worden."

Christoph Bach sagt, er habe zur Vorbereitung auf die Rolle viel von und über Dutschke gelesen, sich Originalaufnahmen angehört und vor manchen Szenen ausgiebig Atemübungen gemacht. Mit seiner Zehnkämpferlunge konnte Dutschke ganze Säle füllen, auch ohne Mikrofon. Bach trifft Dutschkes ungewöhnlichen Rednerstil frappierend genau.

Dass die substantivierten Endlossätze, die heute kryptisch-komisch wirken, damals Tausende mobilisierten, scheint paradox. Überhaupt ist es schwierig, die Atmosphäre nachzuvollziehen, die sich damals in der Frontstadt West-Berlin zuspitzte wie nirgendwo anders.

Aber im Film spürbar wird die Radikalisierung der Aktionsformen; die Debatten um Gewalt, die zunehmend bedrohlichere Anti-Stimmung gegenüber den Studenten, die Presse-Schlagzeilen auch in "Bild" wirken wie ein Gewebe, das sich um Dutschke immer dichter zusammenzog. Heute ist kaum nachvollziehbar, dass Gegner "Vergast Dutschke!" auf Häuserwände malten. "Es kann natürlich 'n Neurotiker oder Wahnsinniger mal 'ne Kurzschlusshandlung durchführen", hat Dutschke einmal zu einem Reporter gesagt. Er fühle sich aber nicht bedroht. Am 11. April 1968 schoss ihn der Hilfsarbeiter Josef Bachmann auf der Straße mit drei Kugeln nieder, eine drang ins Gehirn.

Die Studentenbewegung verlor mit dem Attentat ihre Symbolfigur, aber konsequenterweise konzentriert sich der Film auf die menschliche Tragödie. Dutschke musste erst wieder sprechen und lesen lernen, er wollte raus aus Deutschland. Der Zehnkämpfer wurde zaghaft, so als sei "die Angst in ihn hineingeschossen worden", sagt Christoph Bach. Gretchen Dutschke, diese immer etwas ratlos lächelnde Frau, erwies sich in der schwierigen Rekonvaleszenz und der folgenden Zeit im Exil - Italien, England, Irland, dann Dänemark - als einziger Halt der Familie.

Als er 1973 erstmals wieder auf einer Kundgebung sprach, drehte man ihm vorzeitig das Mikro ab. Die Szene hatte sich verändert: "Die Häuptlinge der K-Gruppen waren froh, dass es keinen Dutschke mehr gab", sagt Wolfgang Kraushaar. Am Heiligabend 1979 starb Dutschke zu Hause in Århus an den Spätwirkungen des Attentats. Er hatte sich zuvor an Gründungsdiskussionen der Grünen beteiligt. Sein drittes Kind Marek hat er nicht mehr kennengelernt.

Was Dutschke sich - außer der "Enteignung des Springer-Konzerns" - eigentlich von einem Umsturz versprach, bleibt im Film unklar. Jenes berühmte "Gespräch über die Zukunft" 1967 mit Rabehl, Christian Semler und Hans Magnus Enzensberger, in dem Dutschke von "verschiedenen Räteschulen" und der Auflösung der Landwirtschaft schwadronierte, wird nicht erwähnt.

Neben den Guevara-Plakaten hatten Dutschke-Porträts in der linken Popkultur nie eine Chance. Was verbinden junge Leute heute noch mit ihm und seiner Zeit? Christoph Bach (geboren 1975), Emily Cox (1985) und Pasquale Aleardi (1971, als Gaston Salvatore) grinsen sich bei der Filmvorstellung etwas verlegen an. "Eigentlich nur den Namen und die Musik", sagen sie.

"Dutschke", Dienstag, 27.4., ZDF, 20.15 Uhr