Das Deutsche Schauspielhaus setzt auf musikalische Klassiker. Jarg Patakis schmissige Dreigroschenoper sorgte für viel Applaus.

Hamburg. Ja, das könnte ein Renner werden am Deutschen Schauspielhaus. Diese "Dreigroschenoper", deren schmissige Songs mal an große Oper, mal an die roaring twenties und mal an Leierkasten-Balladen erinnern. Bertolt Brechts Geschichte vom Gauner Macheath, genannt Mackie Messer, der mit allen Schweinereien durchkommt, weil er den Polizeichef zum Freund hat. Und weil die Bräuche der Gangster denen der Bürger nun mal sehr ähneln. Das Ensemble singt sich munter durch die raffinierten, populären Lieder, die von der Liebe, die vielleicht nicht dauert, handeln, von einem Schiff mit 50 Kanonen oder den Verhältnissen, die nicht so sind, wie sie sein sollten. Diese Oper ist ein genialer Coup, unsterblich - auch wenn sie manchmal bis zum Überdruss verschlissen wurde.

Jarg Patakis Inszenierung kommt zur rechten Zeit. Nach einer Ruhepause. Kein Geniestreich, aber sehenswert, kurzweilig und unterhaltsam. Sie bemüht sich nicht krampfhaft darum, Aktualität zu signalisieren, was naheliegend wäre, wenn von Armut, Banken und Bettlern die Rede ist - "Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank!". Sie erzählt Brechts nicht tot zu kriegenden Klassiker zügig, zynisch, in eine Art verelendetes (Fabrik-)Gelände verlegt, ganz unromantisch und mit schlagenden Bildern.

Da sieht man dann ohne Wink mit dem sozialen Zaunpfahl, was es bedeutet, im Käfig zu stecken, hoch hinaus zu wollen oder im Elend herumzukriechen. Auf Anna Börnsens kahler, mit Steinen belegten Bühne, stehen in der Mitte Klettermaste, zwischen denen ein Fahrkorb hängt. Die acht glänzend aufgelegten Musiker, mitten im Geschehen, bilden vor dem leuchtenden Horizont Scherenschnitte wie in einem Jazzfilm. Am Anfang fahren die Bettler von unten herauf, zwischendrin wird im Fahrstuhl Hochzeit gefeiert und am Ende fährt die ganze Ganovengemeinschaft mit dem soeben begnadigten Mackie statt zur Hölle gen Bühnen-Himmel. Frechheit und Unmoral siegt. Welch Ironie! Ganz wie im richtigen Leben. Und anders als am Abend zuvor am Thalia, als es thematisch auch um Rotlichtromantik und populäre Musik ging, zeigt diese Inszenierung keine erschlafften, alt gewordenen Antihelden, sondern vitale, aasige Kraft.

Allen voran Tim Grobe, dessen Mackie Messer wunderbar zwischen proletarischem Charme, Verschlagenheit und Saft-und-Kraft-Kerl hin- und herwechseln kann. Dass böse Buben wie dieser schillernde Schurke für Lucy, Spelunkenjenny (beide gespielt von Katharina Schmidt) und Polly Peachum gleichermaßen attraktiv sind, kann man irgendwie verstehen. Grobe singt kraftvoll, schlängelt sich elegant aus dem Zickenkrieg, den Polly und Jenny seinetwegen veranstalten und hat einen durchtrainierten Körper. Das ist kein Typ, der herumsitzend verfettet, so viel sieht man. Das ist ein Alpha-Mann, ob im Bordell oder in seiner Gang.

Doch was in seinem Fall Sinn ergibt, da er mit freiem Oberkörper spielt, ist auch das größte Manko des Abends: Die wirklich hässlichen, fleischfarbenen Kostüme (Heide Kastler), die sich als Ganzkörperbodys an alle Schauspieler schmiegen,wie die Pelle an die Wurst. Zusätzlich tragen die Darsteller Haltegurte ums Becken, denn gelegentlich müssen Trauerweidenwalter (Martin Pawlowsky), Hakenfingerjakob (Tristan Seith), Münzmatthias (Achim Buch), Sägerobert (Janning Kahnert) und die anderen auf dem Gerüst herumklettern. In der Welt des Sex and Crime wie ein Riesenbaby aussehen zu müssen ist die Höchststrafe. Selbst Polizeichef Tiger Brown (Jürgen Uter) schützt nur eine klägliche Hemdbrust. Wie gern erinnert man sich an eine Anekdote aus der Uraufführung des Stückes. Harald Paulsen, der den Macheath spielte, war sehr eitel und wollte eine himmelblaue Krawatte tragen. Brecht tobte und schrieb daraufhin die Moritat vom Haifisch, der Zähne hat. So konterkarierte er die hellblaue Schleife mit den grausigen Schandtaten des Gangsters.

Wie modern das Stück ist, sieht man, wenn Mackie seiner Polly die Geschäfte übergibt, als er ins Gefängnis muss. Polly ist bei Katja Danowski eine moderne, zupackende Frau mit vielen Facetten, die sich nicht nur gegen ihre Eltern, den Bettlerkönig Peachum (Hanns Jörg Krumpholz) und seine Frau (Hedi Kriegeskotte) durchsetzt, sondern die auch ihren Rivalinnen mächtig zusetzt. Danowskis etwas piepsige Stimme drängt die Figur dann leider wieder ins Romantische.

"Volles Haus. Viel Applaus", schrieb Alfred Kerr 1928 unter seine Rezension der Uraufführung der "Dreigroschenoper". So war's auch am Sonnabend im Schauspielhaus. Da störten die übertrieben lauten Claqueure nur wenig.