Der Hamburger Schauspieler Charly Hübner spielt einen undurchsichtigen Ermittler, der seine Kollegin vom LKA für “'ne blöde Tussi“ hält.

Hamburg. Für ein Gespräch mit Charly Hübner sollte man Zeit mitbringen. Andernfalls würde man all die hübschen Geschichten verpassen, die aus dem Erinnerungsschatzkasten purzeln, wenn die Fakten abgehandelt sind und die Höflichkeiten ausgetauscht. In diesem Falle handeln die Geschichten von hartnäckigen Kreditkartenverkäuferinnen am Flughafen Wien, von Schlaglöchern groß wie Kleinwagen und Zwei-Städte-Beziehungen, ach ja, und dann gab es noch diesen Trip nach Griechenland mit seinen beiden Kumpels ...

Vielleicht verwundert dies am meisten an diesem Spätvormittag, an dem der Milchkaffee auf dem Bistrotisch langsam auskühlt: Was für ein wunderbarer Erzähler Charly Hübner ist. Ein Unterhaltungstalent. Im Film spielt er eher die mundfaulen Figuren. Die Außenseiter, die Typen mit den kleinen Ticks und großen Lebensproblemen. Mit diesen Antihelden hat er es zu stiller Berühmtheit gebracht.

Wenn es demnächst lauter wird um seine Person, liegt das auch daran, dass der NDR Hübner als Kommissar im neuen "Polizeiruf 110" an der Seite von Anneke Kim Sarnau ins Rennen, besser gesagt: an den Einsatzort Rostock schickt. Am Sonntag ist Premiere. Sie spielt eine sogenannte Fall-Analytikerin beim LKA, er einen Ermittler mit krimineller Vergangenheit, dem man ebenso abnehmen würde, dass er auf dem Bau arbeitet oder hinterm Tresen in der Eckkneipe, und der, wäre er ein Gangmitglied, schon den passenden Namen hätte: Alexander Bukow. Genannt Bukow.

"So ein bisschen Frühsport tut uns gut", witzelt die LKA-Frau zur Begrüßung, nachdem die beiden eine kleine (erfolglose) Verfolgungsjagd hingelegt haben. Bukow guckt lange, sagt nichts und denkt: Du mich auch! Den Mann einen klassischen Sympathieträger zu nennen wäre in etwa so, als würde man Boris Becker als Mauerblümchen bezeichnen. Bukow-Taktik sei, sagt Hübner: sich doof stellen, von allen unterschätzt werden und dann, wenn keiner damit rechnet: rumms. Bukow ist der Mann für den zweiten Blick, das hat er vielleicht mit Charly Hübner gemeinsam.

Einem großen Publikum bekannt wurde der 37-Jährige mit dem zugleich jungenhaften und markanten Gesicht als Stasiagent in "Das Leben der Anderen", dem vielleicht wichtigsten deutschen Kinofilm der letzten Jahre, nicht umsonst Oscar-gekrönt. Er spielte die Nachtwache neben dem verstorbenen Ulrich Mühe. Wenige Szenen, aber die richtigen. Überhaupt, der Mühe: Wegen ihm, "dem Uli", ist Charly Hübner einst ins Theater gegangen, damals, als er die Ernst-Busch-Schauspielschule besuchte.

Bis 2003 stand Hübner selbst auf der Bühne, anschließend war er in mehr als 70 Film- und Fernsehproduktionen zu sehen: viel Krimi, viel Drama, etwas Komödie. Hübners Rolle, und sei sie noch so klein, blieb dabei immer in Erinnerung als außergewöhnlich. Derzeit gibt er den Sketchpartner von Anke Engelke in der Sat.1-Comedy "Ladykracher" - einer Sendung, in der man gut beobachten kann, welcher Schauspieler Talent hat und ein Gespür für Timing. Und wer nur so tut, als ob. Unnötig zu sagen, zu welcher Kategorie Charly Hübner zählt.

Der Schauspieler ist im Beruf ein Rastloser, im Gespräch ein Ruhepol. Im einem hübschen Ottenser Bioladen, der praktischerweise dieselbe Anschrift trägt wie Hübners Wohnung und somit als Ersatz-Wohnzimmer fungiert, hat er sich und seine beeindruckenden 1,92 Meter in der Sitzecke des angeschlossenen Cafés "geparkt". Mit Zeitung, Kaffee und frisch gepresstem Blutorangensaft. Er ist ausgeruht und strahlt die Gelassenheit eines Menschen aus, der erkannt hat, dass es wichtigere Dinge gibt im Leben als Karriere, Kontakte und Filmpartys. Er sei "ein Freund des Vier-Augen-Gesprächs", sagt Hübner. Mehr Sofa und Kneipe als roter Teppich.

Seine Stimme ist tief und angenehm brummend, man versteht ihn problemlos, auch wenn der Milchaufschäumer gerade besonders laut schäumt. Die Gestalt ist eher kräftig als massig, eine insgesamt wohlproportionierte Bärenhaftigkeit. Wenn man mit dem Auto im Schnee stecken bliebe, hätte man gern jemanden wie Charly Hübner mit im Wagen. Er versprüht den Glamour eines Gummistiefels - was vorbehaltlos als Kompliment gemeint ist.

Vor sieben Jahren stieß er in seiner Karriere an einen Punkt, an dem er auf der Bühne stand, die Zuschauer applaudierten begeistert - und Hübner konnte sich nicht mehr richtig freuen. Leer gespielt irgendwie. Alles schon hundertmal und noch öfter gemacht. Er wurde krank, kam ins Krankenhaus, wo ihm eine nette Stationsschwester den Auftrag erteilte: Schreiben Sie doch mal auf, was Sie wirklich interessiert. Ich will Filme machen, schrieb Charly Hübner auf seinen Zettel. Mit Ausrufezeichen. Und das hat er dann auch getan. 17 Projekte in einem Jahr lautet sein Rekord - wobei ihn in seiner Drehwut ein verblüffend gutes Gespür für interessante, abwechslungsreiche Rollen auszeichnet.

Den "Polizeiruf 110" anzunehmen, dafür gab es gleich drei gute Gründe: seine Verbundenheit zu Rostock, wo er 1992 ein halbes Jahr lebte, "in einem Haus, das so schief war, dass man beim Treppenruntergehen dachte, man ginge rauf". Hübner lacht - und man kann sich gut vorstellen, wie er damals schon mit der ihm eigenen Lebemann-Attitüde gedacht hat: Hey, ist doch nur 'ne Treppe! Mit Anneke Kim Sarnau wollte Hübner unbedingt zusammenarbeiten, das betont er seither in jedem Interview, jeder Talkshow - und ob einem der Krimi "Einer von uns" gefällt oder nicht: dass die beiden Hauptdarsteller gerade in ihrer Disharmonie gut harmonieren, wird ihnen wohl keiner absprechen.

Und dann ist da noch der Bukow. Der Mann mit dem Hang zum Unkonventionellen. Der irgendwann mal suspendiert werden könnte oder auch Chef des ganzen Ladens. Der den Ärger anzieht wie der Kot die Schmeißfliegen. Hübner sagt es sehr viel poetischer: "Bukow hat eine unbewusste Sehnsucht, die Dinge illegal zu regeln." Eigens für die Rolle hat er mit dem Boxen angefangen, in einem kleinen asiatischen Boxstudio in Altona. Es war ihm wichtig zu zeigen: Bukow ist nicht ungefährlich. Wenn man es weiß, meint man sie zu sehen im Film, die Trainingsstunden: diese Sicherheit in den Bewegungen, das leicht Vorgebeugte und die lauernde Dauerspannung. Vielleicht ist Charly Hübner aber auch einfach nur ein sehr guter Schauspieler.

Der "Polizeiruf 110 - Einer von uns" läuft am Sonntag, 18. April, um 20.15 Uhr in der ARD