John Neumeier und Simone Young sagen mit einer Gala Danke. 800.000 Euro pro Jahr treibt die Stiftung für sie auf, aber redet ihnen nie rein.

Die Intendanten von Oper und Ballett im Gespräch über ihren treuesten Förderer, über Einsamkeit und einen Ausflug auf der Alster.

Abendblatt: Eine Australierin und ein Amerikaner in derart exponierten Positionen des Hamburger Kulturlebens - fühlen Sie sich manchmal als Komplizen?

Simone Young (lacht): Wir verstehen die Witze des anderen vielleicht besser. Man kann so herrliche Wortspiele machen, zum Beispiel "Hello together" - Sachen, die man auf Englisch so gar nicht sagen kann, darüber können wir uns total amüsieren.

Gibt es auch Momente von Einsamkeit?

Young: Gehört das nicht zum Dasein des Künstlers, dass man immer eine leichte Einsamkeit spürt? Für mich hat das nichts mit meiner Nationalität zu tun. Ich habe mehr als die Hälfte meines Lebens in Europa verbracht, ich lebe hier mit Mann und Tochter. Ich kann nicht sagen, dass ich alleine bin. Aber ich glaube, eine gewisse Einsamkeit trägt jeder Künstler mit sich. Die braucht es auch.

John Neumeier: Ja.

Fühlen Sie sich als Bettler oder als Partner, wenn Sie mit der Opernstiftung über Projekte sprechen, für die Sie Unterstützung brauchen?

Young: Absolut als Partner! Die stehen nicht als Patriarchen da, die uns als Bettler mit Hut in der Hand ansehen. Eines meiner ersten Erlebnisse hier war ein Gespräch mit Herrn Wünsche, in dem er mich fragte: Was können wir für Sie tun?

So hat es ja auch für Sie angefangen, Herr Neumeier. Eines Abends kam Kurt Körber auf Sie zu, den Sie gar nicht kannten. Begeistert von Ihrem Ballett, fragte er Sie: Was wünschen Sie sich?

Neumeier: Genau so war es. Auf seine Frage habe ich ihm erst zehn Jahre später geantwortet. Mein Wunsch war eine Tournee nach New York, und da hat er gesagt, das ist eigentlich nicht der Sinn der Stiftung. Nach einigen Diskussionen fanden sie dann aber doch, dass solche Reisen dem Ruf der Oper, dem Ballett und der Stadt durchaus dienen. Hauptsächlich aber geht es darum, die Qualität von Oper und Ballett noch ein bisschen zu erhöhen, ihr Exklusivität zu geben.

Für mich ist es nie angenehm, um Geld zu fragen. Wir müssen die Mitglieder der Stiftung von dem überzeugen, wovon wir selbst überzeugt sind. Sie verstehen sich nicht als Bankiers.

Young: Wir versuchen, dem Kuratorium unsere Begeisterung für neue Projekte zu vermitteln. Die tragen das dann an die Förderer und Sponsoren der Stiftung weiter. Auch ich rede ungern über Geld, aber es gehört zum Job.

Was genau wird denn gefördert?

Young: Zur Hälfte das Internationale Opernstudio. Seit dieser Spielzeit finanzieren sie zur Hälfte auch die Kinderoper, weil einer der Sponsorenverträge ausgelaufen war und die Opernstiftung das Projekt nicht fallen lassen wollte. Außerdem übernimmt sie immer wieder Mehrkosten, etwa für ein Auftragswerk oder eine Deutsche Erstaufführung, die extra Gebühren bei den Rechte-Inhabern kostet. Und die Stiftung hilft bei Gagen für Top-Sänger.

Neumeier: Wir haben um Geld für den Star-Tänzer Roberto Bolle gebeten, der in der letzten Spielzeit den Orpheus tanzen sollte. So einer kommt und probiert wochenlang, um eine Rolle zu kreieren. Das gehört dann zum exklusiven Repertoire der Hamburgischen Staatsoper bzw. des Balletts und wird zum Aushängeschild. Leider wurde er krank. Das holen wir nun in der nächsten Spielzeit nach.

Frau Young, Sie bekommen für den "Ring" 500 000 Euro. Werden Sie dafür bei anderen Produktionen kürzer gehalten?

Young: Das hatte ich befürchtet, es ist aber nicht eingetreten. Wobei man sagen muss, dass sich die "Ring"-Finanzierung über mehrere Spielzeiten erstreckt. Aber die Stiftung hat entschieden, dass der Rest der Arbeit nicht darunter leiden soll. Sie finanziert auch Jahr für Jahr den Dr.-Wilhelm-Oberdörffer-Preis, der an einen Tänzer und einen Sänger verliehen wird, und den Eduard-Söring-Preis für einen Instrumentalisten der Philharmoniker Hamburg. So etwas gibt es kaum in anderen Häusern.

Was machen die Künstler mit dem Preisgeld?

Young: Meistens finanzieren sie damit eine Weiterbildung oder eine CD-Aufnahme.

Neumeier: Carsten Jung hat davon sein erstes Auto gekauft!

Schlägt die Stiftung Ihnen auch mal was ab, gibt es Konflikte?

Neumeier: Bis jetzt nicht.

Young: John und ich sind Pragmatiker; wir kennen in etwa die Grenzen der Stiftung. Wenn es nach uns ginge, könnten wir gut Aladins Wunderlampe gebrauchen und um alles bitten, was wir nur wollen. Aber wir stellen nur Projekte vor, bei denen die Stiftung helfen kann und die sich sonst nicht realisieren ließen.

Haben Sie eigentlich einen erklärten Lieblingsort in Hamburg?

Neumeier: Die Alster. Ein wunderbar meditativer Ort zum Spazierengehen, am liebsten bei Sonnenuntergang.

Waren Sie jetzt im Winter auf dem Eis?

Neumeier: Leider nicht, weil ich sehr viel weg war.

Wie oft kommen Sie zu einem Alsterspaziergang?

Neumeier: Wenn ich ganz ehrlich bin ..., man kann ganz viele Dinge in der Erinnerung erleben.

Young: Süß gesagt. Ich war drei-, viermal auf dem Eis, am schönsten war es um Mitternacht bei Vollmond. Ich hatte jedes Mal Angst, weil ich nicht fallen wollte. Mir geht es mit der Alster genauso wie John. Sie ist ein traumhaft schönes Geschenk für die Stadt. Sonst bin ich an der Elbe. Und wenn schon keine Zeit für einen Spaziergang ist, mache ich meine Termine gerne irgendwo in einer Bar oder einem Restaurant, von wo aus man aufs Wasser gucken kann. Ich brauche diesen Weitblick, mindestens einmal am Tag. Ich muss den weiten Horizont sehen. Sonst werde ich depressiv.

Diese Affinität zum Wasser liegt nahe bei Ihrer Herkunft ...

Young: Klar. Auch was den Weitblick betrifft. Wenn man in Australien nicht auf dem Wasser ist, ist man in der Wüste. Da ist der Horizont auch weit. Ach, und die kleinen Kanäle! In meinem ersten Jahr hier war ich einmal im Paddelboot unterwegs, seitdem will ich das wiederholen, ich komm bloß nicht dazu. Wir machen mal gemeinsam einen Ausflug, John!

Neumeier: Genau, das machen wir.

Young: Und dann legen wir an diesem Café an, wo man vom Boot aus den Kaffee durchs Fenster gereicht bekommt.

Neumeier: Kann man das?

Young: Ja, am Poelchaukamp. Die haben ein Fenster zum Kanal, da kannst du anklopfen und dir ein Eis holen oder einen Cappuccino.

Ihre Verträge gehen bis 2015. Wissen Sie schon, wie es danach weitergeht?

Young: Ich bin ziemlich sicher, dass eine Zeit kommen wird, wo ich als Künstlerin das Bedürfnis verspüre, all der Administration, dem Kampf ums Geld und der politischen Szene den Rücken zu kehren, um mich wieder hundertprozentig meiner Musik zu widmen. Den Wunsch danach verspüre ich in jeder Minute, das dringende Bedürfnis danach habe ich noch nicht. Aber ich bin sicher, dass es kommen wird.

Die Intendanz ist dann vorbei?

Young: Irgendwann, ja. Ein Opernhaus braucht alle paar Jahre einen neuen Intendanten. Neue Impulse, eine neue künstlerische Linie, damit die Arbeit lebendig und kraftvoll bleibt. Und diese 15-Stunden-Tage kann man nur eine gewisse Zeit durchziehen, sonst schlägt das auf die geistige und körperliche Fitness.

Herr Neumeier, Sie sind bald 40 Jahre Intendant, vermutlich werden Sie auch Maurice Béjart noch überflügeln wollen, der noch mit 80 sein Ballett geleitet hat ...

Neumeier: Solange ich das Gefühl habe, dass die Tänzer, mit denen ich arbeite, mir zuhören, spielt es keine Rolle, ob ich 80 bin oder 34. Man muss nach dem Instinkt gehen. Ich wache morgens auf und will ins Ballettzentrum gehen und arbeiten. Wenn ich sage: Muss ich?, dann sollte ich nicht mehr. Ich weiß nicht, ob ich über 2015 hinaus in Hamburg bleibe.

Young: Wenn ich mich nicht auf die Arbeit freuen würde - ein Vorsingen oder die Bauprobe für eine neue Produktion -, dann würde ich sie nicht machen. Im Kern aber bleibe ich Dirigentin und Künstlerin. Ich bin ein Multitasker, ich mache gerne viel zu viel. Aber es wird eine Zeit kommen, wo meine Kräfte das nicht mehr aushalten. Es gibt eine Aufgabe, die ich machen muss, und das ist dirigieren. Das wird dann alles andere ausschließen.

Neumeier: Diese Sehnsucht habe ich genauso. Ich sage das jetzt nicht, um zu zeigen, wie toll ich bin, aber die Angebote sind mit den Jahren nicht weniger geworden. Ich kann nicht alles machen und Hamburg noch dazu.

Denken Sie intensiv über Ihre Nachfolge hier in Hamburg nach?

Neumeier: Ich stelle mich nicht in die Wüste und warte auf Eingebung. Aber: Ja, ich mache mir darüber Gedanken. Ständig.