Im ausverkauften Hamburger Literaturhaus stellte Schriftsteller Martin Walser seinen neuen Band mit Tagebuchnotizen von 1974 bis 1978 vor.

Hamburg. "Tagebücher sind auch Belletristik", sagt Martin Walser, und: "Ich schreibe, weil ich überleben will." Schließlich sei er seit seinem zwölften Lebensjahr, in dem seine erste Begegnung mit Literatur stattfand, "in nichts anderes hereingewachsen als die Literatur. Es gibt für mich nichts Schöneres".

Martin Walser war am Dienstagabend unter Mitwirkung von NDR Kultur zu Gast im Hamburger Literaturhaus. Dort stellte er seinen dritten, soeben erschienenen Band mit Tagebuchnotizen aus den Jahren 1974 bis 1978 vor. Eine Zeit, in der es um die Familie, Sorgen um Einkünfte, Auslandsaufenthalte, aber auch um den nie geendeten Streit mit dem Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ging. Denn MRR hatte am 27. März 1976 über Walsers Roman "Jenseits der Liebe" einen Totalverriss unter der Überschrift "Jenseits der Literatur" veröffentlicht. Eine Kränkung, die Walser bis ins Mark traf und die er zu den damaligen Zeiten, als Berufsverbote herrschten, als Verbannung aus dem Reich der Literatur begriff.

25 Jahre später veröffentlichte Walser seinen Roman "Tod eines Kritikers", in dem er sich, immer noch verwundet, unschwer verschlüsselt mit dem Verschwinden des "machtbesessenen Großkaspers" auseinandersetzte. All dies ist längst Teil der deutschen Literaturgeschichte.

Der Abend im Literaturhaus war restlos ausverkauft. Viele, sehr viele wollten den Autor sehen und hören, der seit seiner Erstveröffentlichung 1957 der Chronist der deutschen Wirklichkeit geworden ist.

Grass, Böll, Lenz, Walser - das große Viergestirn der deutschen Nachkriegsliteratur. Zwei davon, Grass und Böll, haben Literaturnobelpreise erhalten. Lenz und Walser schreiben unermüdlich. Walser reist, obwohl er in der kommenden Woche 83 Jahre alt wird, rastlos durch Deutschland und die Welt. Man ist erstaunt, wie er das schafft. Immerhin gibt es auch in den Tagebüchern eine Stelle, die sagt: "Ich nehme Einladungen an, die mich zwingen, mich öffentlich zu präsentieren."

Das einsame Geschäft des Schriftstellers erfordert wohl bei einem Kraftmenschen, der Walser immer war und noch ist, einen Gegenpol, das Bad in der Menge. Es gibt kaum einen Autor, der nicht nach Bestätigung und Versicherung lechzt, der nicht zuletzt die bewundernden Blicke der Frauen sucht und findet. "Wer liebt, schreibt besser als wer nur urteilt", sagt Walser an diesem Abend und gibt damit einmal mehr seine Geringschätzung des Kritikerberufs preis. Es gebe "väterliche Kritik" und "mütterliche", so Walser. Väterliche heiße, "du kannst etwas nicht, was der Vater besser kann", mütterliche sei "zugewandt, ermunternd". Aber auch selten.

Nach einer Weile taut Walser auf. Begleitet seine so schön im alemannischen Singsang und mit rollendem R vorgetragenen Tagebuchnotizen mit einem Griff nach dem Arm des Moderators Rainer Moritz und einem "verstehscht", das ihm so eigen ist. Walser ist ein haptischer, sinnlicher Mensch. Einer, der gern schwimmt und zürnt und schon wieder davoneilt. In die nächste Stadt. All das wird auch im Tagebuch beschrieben.